GI-Radar 245: Gewalt in Spielen – Emotionen vs. Fakten

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

unser Thema im Fokus ist – leider aus aktuellem Anlass – die Debatte um Gewalt in Videospielen. In den Kurzmitteilungen möchten wir Ihre Aufmerksamkeit unter anderem auf das Bundesland MV richten, wo Informatik nun auch richtig in der Schule ankommt. Die GI-Mitteilungen stehen dieses Mal im Zeichen der Jahrestagung, die Ende September in Kassel stattfinden wird. Und dann wäre da noch das Fundstück – das richtet sich dieses Mal vor allem an diejenigen von Ihnen, die in der Wissenschaft tätig sind.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

auf gi-radar.de weiterlesen

Stimmenmanipulation + Big Data und Planwirtschaft + Forschungsförderung des DAAD + Rahmenplan Informatikunterricht + Gewalt in Videospielen + Festbankett in Kassel + Zuse-Medaille 2019 + neue GI-Junior-Fellows + GI-Finanzbericht online + Bindestriche im Titel: weniger Zitate

KURZMITTEILUNGEN

Stimmen- und Fotomanipulationen der Zukunft: wer spricht da mit mir? (NZZ). Der Tübinger Philosoph Marco Wehr entwirft ein Szenario, wie in naher Zukunft Profile und Menschen im Web ziemlich überzeugend manipuliert, simuliert oder komplett „gefaked“ werden können. Er rät dazu – nicht neu – sich gut zu überlegen, was man ins Web stellt.  weiterlesen

Big Data befördert Planwirtschaft, oder: lässt sich die Ökonomie steuern? (NZZ) Bislang gibt es einen Markt, der durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Mithin also leider vergleichsweise unkalkulierbar – aus Sicht der Handelsriesen. Dies ließe sich vielleicht in Zukunft ändern, mutmaßt der Politikwissenschaftler Adrian Lobe, sobald die Riesen so viele Daten haben, dass es kaum mehr Zufall gibt.  weiterlesen

KI-Forschung und interdisziplinäres Arbeiten in Deutschland attraktiv für Studierende aus dem Ausland (DAAD). Studierende lassen sich für eine Ausbildung in Deutschland begeistern. Mit speziellen Programmen können Studierende in die Forschung in Deutschland hineinschnuppern und in interdisziplinären Teams Informatik-Erfahrungen sammeln. Neben der Kooperation mit den Medizinern gibt es auch einen regen Austausch mit dem DFKI in Saarbrücken, in dem derzeit knapp 600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 65 Nationen zusammen lernen und forschen.  weiterlesen

Vorbild Mecklenburg-Vorpommern: Rahmenpläne für verbindlichen Informatikunterricht für die Klassen 5–10 (Bildungsserver). Das Land Mecklenburg-Vorpommern macht es vor: ab dem Schuljahr 2019/2010 gibt es einen verbindlichen, einstündigen Informatikunterricht in den Klassen 5–10 in allen allgemeinbildenden Schulen. Hierzu gibt es nun detaillierte Rahmenpläne für die unterschiedlichen Stufen.  weiterlesen

* Artikel ist ggf. nur mit deaktiviertem Adblocker lesbar.

THEMA IM FOKUS

Erhöhen Videospiele die Gewaltbereitschaft? Nach den Schießereien in den Vereinigten Staaten (Texas und Ohio) am 3. August 2019 behaupteten mehrere Politiker wieder einmal, dass Waffengewalt bei Jugendlichen mit Gewalt in Videospielen zusammenhänge – insbesondere sog. „Egoshooter“ stehen in der Kritik (Der Standard). Zu den Kritikern zählt auch US-Präsident Trump, der die „Gewaltverherrlichung in Videospielen“ als Ursache für den Anschlag sah (YouTube): „We must stop the glorification of violence in our society. This includes the gruesome and grisly video games that are now commonplace.“ Hierzulande werden Videospiele hingegen kaum noch als Gefahr angesehen. Es gibt sogar Politiker, die sich zu ihrer Egoshooter-Leidenschaft bekennen (spieletipps.de).

Tatsächlich spielt jeder zweite Deutsche Computer- bzw. Videospiele auf PCs, Konsolen oder dem Smartphone, wobei fast die Hälfte (47%) der „Gamer“ Frauen sind (de.statista.com). Neben Frauen sind auch die über 50-Jährigen innerhalb der Spielerschaft gut vertreten. Im Jahr 2018 gehörten insgesamt 9,5 Mio. Spieler zu dieser Altersklasse – die zahlenmäßig größte Spielergruppe in Deutschland. Dies führt auch zum steigenden Durchschnittsalter der Gamer in Deutschland, das im Jahr 2018 auf 36,1 Jahre anstieg (game.de).

Der Videospiele-Markt wächst stetig. Laut einer Prognose von Statista soll sich im Jahr 2020 der weltweite Umsatz mit Videospielen auf rund 85,4 Mrd. US-Dollar belaufen (de.statista.com). Im Jahr 2017 erreichte der deutsche Spiele-Markt erstmals die 3-Milliarden-Euro-Marke. Seit vielen Jahren entwickelt sich dieser Markt weltweit so dynamisch wie kein anderer Medien- und Kulturbereich (game.de). Der deutsche Markt ist in Europa der größte für Computer- und Videospiele, weltweit liegt er auf Platz 5 hinter den deutlich bevölkerungsreicheren Ländern China, USA und Japan (newzoo.com).

Schon lange gibt es unter den Gamern auch ernstzunehmende Profis. Die Strukturen im „E-Sport“ nähern sich an die traditionellen Sportarten an. Spiele von großen Turnieren werden live im Internet übertragen und mit vergleichbarem Aufwand wie herkömmliche Großveranstaltungen inszeniert. So wurde im Incheon-Munhak-Stadion das „League of Legends Worlds Final“ ähnlich wie der Super Bowl zelebriert, inklusive einer Live-Aufführung des WM-Songs. Weiterhin gab es einen Auftritt von koreanischen K-Pop-Stars. Noch überraschender sind die Zuschauerzahlen: Während das Finale der letzten Fußball-WM von 163 Mio. Menschen bzw. das Finale des amerikanischen Super Bowls von 104 Mio. Menschen in den USA verfolgt worden war, schalteten beim „League of Legends Worlds Final 2018“ über 205 Mio. Zuschauer ein – doppelt so viele wie im Jahr zuvor (sport1.de).

Videospiele (und somit auch Gewalt in Videospielen) haben demnach eine enorme gesellschaftliche Relevanz und Breitenwirkung. Sind die emotionsgeladenen Debatten in Politik und Medien berechtigt? Vertreter des Waffenrechts in den USA machen häufig mediale Gewalt als Hauptursache für Schießereien und Amokläufe verantwortlich. Gegner weisen hingegen darauf hin, dass mediale Gewalt überall auf der Welt existiere, jedoch kaum ein Land so große Probleme mit Todesopfern in Folge von Schießereien habe wie die Vereinigten Staaten (twitter.com). Wie beantwortet die Wissenschaft die Frage, inwiefern Gewalt in Videospielen möglicherweise Auswirkungen auf die Ausübung physischer Gewalt hat? Eine umfangreiche Meta-Studie der Texas A&M International University kam zu dem Ergebnis, dass aktuelle Studien keinen Hinweis auf ein erhöhtes aggressives Verhalten in Folge vom Konsum medialer Gewalt lieferten (nih.gov). Des Weiteren wird dort ausgeführt, dass Studien, die gegenteilige Effekte beobachteten, häufig unter starkem Publikationsbias litten, oder falsche Maßzahlen verwendeten. Diese Ergebnisse werden von einer kürzlich publizierten Langzeitstudie der Universitätsklinik Hamburg gestützt (idw-online.de). In dieser Studie konsumierten Erwachsene in drei Gruppen über einen längeren Zeitraum regelmäßig entweder „Grand Theft Auto V“, „Sims“ oder gar keine Videospiele. Tests, die sowohl direkte als auch indirekte Aggression der Teilnehmer messen sollten, legten den Schluss nahe, dass auch ein langfristiger Konsum keine Auswirkung auf das Verhalten der Probanden habe. Offen bleibt, inwieweit diese Ergebnisse auch auf Kinder und Jugendliche übertragbar sind. Vergleichbare Untersuchungen gibt es für diese Altersgruppe noch nicht.

Aus wissenschaftlicher Sicht weist also bislang nichts darauf hin, dass Gewalt in Videospielen tatsächlich zu einem aggressiveren Verhalten und dem Ausüben physischer Gewalt in der realen Welt führt. Dennoch ist ein offener Diskurs wichtig. Die Ausgestaltung mancher Details ist moralisch zu hinterfragen, etwa wenn echte Kriegsszenarien nachgestellt werden. Welche Gewaltdarstellungen für Kinder und Jugendliche in welcher Altersstufe adäquat sind, muss differenziert bewertet werden. Einen international einzigartigen Beitrag dazu leistet hierzulande bereits die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK), deren Alterskennzeichen für alle Händler bindend ist.

Unreflektierte Forderungen nach einem Verbot jeglicher Gewaltdarstellung in Videospielen werden der Thematik nicht gerecht. Diesem emotionsgeladenen Aktionismus können wir im konstruktiven Diskurs durch faktenbasierte Aufklärung über Ausmaße, Inhalte und Auswirkungen begegnen.

Dieser Überblick wurde verfasst von Yasmina Adams, Elrike van den Heuvel und Johannes Korz aus unserer „Redaktion Sozioinformatik“. Vielen Dank! Sie erreichen die Autoren unter redaktion.sozioinformatik@cs.uni-kl.de.

GI-MELDUNGEN

Festbankett auf der INFORMATIK 2019 in der Orangerie aus dem 18. Jahrhundert. Traditionell ist das Festbankett auf der GI-Jahrestagung der Ort für regen Austausch in einem außergewöhnlichen Rahmen, für Auszeichnungen und einen vergnüglichen Abend in einer besonderen Atmosphäre. In diesem Jahr haben die Veranstalter in Kassel die Orangerie gemietet, einen prächtigen Prunkbau aus dem 18. Jahrhundert. Wir freuen uns auf viele Anmeldungen und einen außergewöhnlichen Abend.  weiterlesen

Dorothea Wagner Zuse-Preisträgerin 2019. Das Kuratorium der Konrad-Zuse-Medaille hat in diesem Jahr Prof. Dr. Dorothea Wagner aus Karlsruhe als Trägerin der Konrad-Zuse-Medaille gekürt. Frau Wagner ist seit vielen Jahren in der GI und der Wissenschaftspolitik aktiv. Ihre Beiträge zur Informatikforschung gehören zur Weltspitze und finden sich in zahlreichen Anwendungen wieder. Hierzu zählen beispielsweise die automatisierte Routenplanung oder die Optimierung von Energiesystemen. Die Medaille wird beim Bankett auf der INFORMATIK 2019 verliehen.  weiterlesen

Vier neue GI-Junior-Fellows gekürt. Der Auswahlausschuss unter Leitung von Alfons Kemper hat für das Jahr 2019 herausragende junge Leute zu GI-Junior-Fellows gekürt. Dies sind Sandra Schulz, Ziawasch Abedjan, Felix Gessert und Viktor Leis. Die vier werden beim Abendempfang auf der INFORMATIK 2019 (Dienstag, 24. September 2019) ausgezeichnet. Wir gratulieren und freuen uns auf die Zusammenarbeit!  weiterlesen

Finanzbericht im Mitgliederbereich veröffentlicht. Der Finanzbericht 2018/2019 des Vizepräsidenten für Finanzen, Michael Goedicke, ist im Mitgliederbereich veröffentlicht worden, ebenso wie die Einladung zur Mitgliederversammlung. In der Ordentlichen Mitgliederversammlung in Kassel wird der Finanzbericht im Detail vorgestellt.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Bindestrich im Titel? Weniger Zitate… Über kaum ein Thema streiten Wissenschaftler so leidenschaftlich wie über den (Un-)Sinn und die Aussage von Rankings und Zitationsindizes wie den h-Index. In einer kürzlich veröffentlichten Studie stellte sich nun heraus, dass Veröffentlichungen, die im Titel einen oder gar mehrere Bindestriche enthalten, im Mittel weniger häufig zitiert werden als Veröffentlichungen, deren Titel keine Bindestriche enthält. Schuld daran sind wohl Fehler in den Tools, mit denen die großen Plattformen im Hintergrund die Referenzen auswerten.  Details im Telepolis-Beitrag (heise.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 245 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der – aber nur weil das GI-Radar nicht relevant fürs Ranking ist – den Bindestrich im Titel dieser Ausgabe stehengelassen hat. Die Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen.  Das nächste GI-Radar erscheint am 6. September 2019.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.