GI-Radar 268: Biometrisch bezahlen

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen erinnern wir Sie unter anderem daran, die Sicherheit Ihres Internet-Routers nicht außer Acht zu lassen. Im Thema im Fokus setzen wir uns kritisch mit dem Trend auseinander, im Einzelhandel mittels biometrischer Verfahren zu bezahlen. Bei den GI-Meldungen berichten wir insbesondere über aktuelle Initiativen, um Mädchen und Frauen noch mehr für die Informatik zu begeistern. Einen nostalgischen Rückblick zu den Anfängen der Computerläden zurück gibt es im Fundstück.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Corona-Warn-App + BKA kann bei WhatsApp mitlesen + Router als Einfallstor + deutsches NetzDG als Vorbild + BVerfG: Auskunftsrecht ist verfassungswidrig + Biometrisch bezahlen + Preis für Abschlussarbeiten von Studentinnen + Mädchenfördeurng beim BWINF + Digital Education Action Plan + GI-Webtalk Desininformation in sozialen Netzen + Markus König erhält Konrad-Zuse-Medaille des ZDB + GI-Webtalk zu #HackTheSummer + als der erste Computerladen die Augen leuchten ließ

KURZMITTEILUNGEN

Corona-Warn-App läuft – in Deutschland (SZ). Einen Monat nach dem Start der Corona-Warn-App hat sie zwar nicht die Erwartungen an die Download-Zahlen erfüllt. Erfolgreicher und akzeptierter als in anderen Ländern ist die deutsche Corona-Warn-App dennoch. Das im Vorfeld konstruktive Streiten um Datenschutz und Sicherheit der App scheint sich ausgezahlt zu haben.  weiterlesen*

BKA liest Inhalte von Messenger-Diensten aus – trotz Verschlüsselung (Tagesspiegel).  Mittlerweile versprechen nahezu alle Messenger-Dienste eine Verschlüsselung. Der Unbedarfte geht also davon aus, dass die ausgetauschten Inhalte privater Natur sind und bleiben. Dass dem nicht immer so ist, wurde jetzt publik: das BKA hat Inhalte eines Dienstes auslesen können.  weiterlesen

Router als ideales Einfallstor (heise). Wenn es um die Sicherheit der eigenen Geräte geht, haben die meisten wahrscheinlich in erster Linie Firewalls und PINs im Kopf. Dass der häusliche Router ebenso geschützt werden muss, wissen augenscheinlich viele nicht. Daher entwickeln sich Router zunehmend zum Ziel für Brute-Force-Attacken und Netz-Übernahmen.  weiterlesen

NetzDG dient Österreich als Vorbild (Der Standard). Um Hasspostings im Netz Herr zu werden, sind Plattformen verpflichtet, diese innerhalb einer bestimmten Frist zu löschen. Dies regelt in Deutschland das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Österreich nimmt sich nun das Gesetz zum Vorbild und will ähnliche Regelungen einführen.  weiterlesen

Manuelle Datenauskunft verletzt informationelle Selbstbestimmung (ZEIT). Das Gesetz, dass das Auskunftsrecht der Sicherheitsbehörden über Telekommunikationsdaten Einzelner regelt, ist in Teilen verfassungswidrig. Das hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt.  weiterlesen*

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THEMA IM FOKUS

Mit Biometrie bezahlen: Einkaufsrevolution oder gläserne Kundschaft? Der Bezahlvorgang an Kassen kann eine lästige und zeitraubende Prozedur sein. Während kontaktlose Bezahlfunktionen mit der Karte oder internetfähigen Geräten hier bereits Abhilfe schaffen und diesen Prozess beschleunigen, könnte es bald eine neuartige Bezahlmethode geben, die völlig ohne technische Hilfsmittel auskommt: die eigene Hand. Dies geht aus dem US-Patent 20190392189 hervor, welches bereits 2018 von Amazon eingereicht wurde (uspto.gov). Berichten zufolge, plant Amazon diese Technologie sowohl in seinen eigenen Amazon-Go-Supermärkten, als auch in diversen anderen Geschäften zu installieren (t3n.de).

Anders als die herkömmlichen Scanner-Technologien, wie z.B. den in Smartphones verbauten Fingerabdruck-Scannern, soll der Hand-Scanner von Amazon völlig ohne physische Berührung auskommen. Aus hygienischer Sicht wäre der Hand-Scanner damit, verglichen mit traditionellen Bezahlmethoden, eine nützliche Innovation. Die technische Umsetzung erfolgt hierbei mittels Methoden aus Computer Vision und Tiefen-Geometrie (nypost.com). Hierzu werden die Form und Größe der Hand analysiert und daraus zu einem möglichst eindeutigen Scan verarbeitet. Bei erstmaliger Benutzung müssen Kundinnen und Kunden ihren Scan mit ihrer Kreditkarte verknüpfen, wodurch diese bei anschließenden Nutzungen automatisch belastet werden kann. Die Verwaltung der Daten erfolgt dabei über die Amazon-Cloud, und neben den Kreditkarten-Informationen wird vermutlich auch eine Verknüpfung mit dem Amazon-Konto des Nutzers möglich sein. Nachdem Nutzerinnen und Nutzer den Hand-Scan einmalig mit der eigenen Kreditkarte verknüpft haben, sind sie laut Amazon in der Lage, den Bezahlvorgang in weniger als 300 Millisekunden abzuschließen. Verglichen mit Karten-Transaktionen, die im Schnitt zwischen 10 und 30 Sekunden benötigen (econstor.eu), ist dies eine enorme Beschleunigung des Vorgangs.

Berichten zufolge liegt die aktuelle Genauigkeit der Hand-Zuweisung bei 99,9999% mit einer Fehlerquote von einem zehntausendstel von 1% (0,0001%). Bis zur Veröffentlichung soll die Fehlerquote jedoch auf ein Millionstel von 1% (0,000001%) verringert werden (nypost.com). Demnach gäbe es statistisch bei der aktuellen Fehlerquote pro einer Millionen Bezahlvorgänge eine Verwechslung; mit der angestrebten Fehlerquote würde sich dies auf jeden 100 Millionsten Vorgang reduzieren.

Intern sollen die Hand-Scanner in Amazon-Go-Supermärkten sowie der Amazon-eigenen Bio-Markt-Kette Whole Foods zur Verfügung stehen. Damit erweitert Amazon sein Konzept des smarten Supermarktes, welcher den Kundinnen und Kunden einen Einkauf ganz ohne Interaktion mit der Belegschaft ermöglichen soll. Passend hierzu wurde von Amazon vor kurzem die Einführung von smarten Einkaufswagen angekündigt, die eingekaufte Produkte und deren Gewichte automatisch erfassen (t3n.de). Neben dem internen Einsatz will Amazon die Hand-Scanner-Technologie jedoch auch an diverse andere Geschäfte vertreiben. So sollen zum Beispiel Kaffeehäuser, Fastfoodketten oder andere Geschäfte mit einer starken Stammkundschaft von der Technologie profitieren (t3n.de).

Während insbesondere in Zeiten von Covid-19 hygienische Vorteile nicht abzustreiten und auch ein beschleunigter Bezahlvorgang zu begrüßen ist, gilt es einige negative Aspekte genauer zu beleuchten. 

So kommt es selbst bei der von Amazon angestrebten Genauigkeit von einem hundert Millionstel immer noch regelmäßig vor, dass Bezahlvorgänge falschen Konten zugewiesen werden, vorausgesetzt eine große Anzahl von Menschen nutzt regelmäßig diese Methode zur Bezahlung. Fragwürdig ist hierbei auch, wie fälschlich belastete Kundinnen und Kunden nachweisen können oder sollen, dass sie zum besagten Zeitpunkt nicht eingekauft haben.

Ein weiterer Punkt sind mögliche Datenlecks. Die New-York-Times-Autorin Natasha Singer weist auf die Diskrepanz hin, dass durch die Verwendung von biometrischen Daten häufig eine höhere Sicherheit gegen Identitätsdiebstahl angestrebt wird, gleichzeitig aber auch mehr Angriffspunkte entstehen, an denen man mit böswilliger Absicht ansetzen könnte (nytimes.com). Ebenso haben Jan Krissler und Julian Albrecht bereits 2018 auf dem Hackerkongress 35C3 in Leipzig gezeigt, dass es mit einfachsten Mitteln gelingen kann, damalige Venenerkennungssysteme zu umgehen und fremde Profile zu kopieren (golem.de).

Für Amazon selbst stellt die Technologie potenziell einen enormen Mehrwert dar. Daten über das Einkaufsverhalten der Kundinnen und Kunden würden zukünftig nicht mehr nur auf der hauseigenen Plattform nachvollziehbar, sondern auch darüber hinaus nachverfolgbar sein und somit ein noch vollständigeres Bild des jeweiligen Konsumverhaltens zeichnen. Dies würde zu einem Wettbewerbsvorteil führen, auf dem Amazon seine Monopolstellung in Zukunft weiter ausbauen kann.

Da durch die Verwendung neuer Technologien immer wieder ethisch fragwürdige Situationen entstehen, würden wir uns freuen, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken Sie uns gerne auf Twitter mit dem Hashtag #RedaktionSozioinformatik.

Diesen Beitrag haben Elrike van den Heuvel, Marlon Gehlenborg und Johannes Korz aus unserer Redaktion Sozioinformatik zusammengestellt. Vielen Dank:

GI-MELDUNGEN

Fachgruppe Frauen und Informatik schreibt Preise aus. Die GI-Fachgruppe Frauen und Informatik zeichnet herausragende Bachelor- und Masterarbeiten von Studentinnen aus. Eingereichte Arbeiten sollten entweder ein innovatives, gesellschaftlich relevantes Thema oder neue Einsatzmethoden der Informatik in einem Anwendungskontext behandeln. Die Arbeit soll an einer deutschsprachigen Hochschule eingereicht worden sein. Einsendeschluss ist der 15. November 2020.  weiterlesen

Mädchenförderung beim BWINF. Die bundesweiten Informatikwettbewerbe (BWINF) haben mit girls@bwinf ein neues Projekt ins Leben gerufen. Mit konkreten Maßnahmen sollen Mädchen dazu ermutigt werden, bei der Informatik länger am Ball zu bleiben. Denn während am Anfang bei den Wettbewerben der Anteil der Schülerinnen vergleichsweise hoch ist, nimmt er bei späteren Wettbewerbsrunden kontinuierlich ab.  weiterlesen

GI nimmt Stellung zum „Digital Education Action Plan“ (DEAP) der Europäischen Kommission. Die Situation mit Corona wirbelt das Leben aller durcheinander. Dennoch ist gerade in der Bildung besonders stark spürbar, was sich verändern kann und muss. Hierzu hat sich GI-Präsidiumsmitglied Ira Diethelm geäußert.  weiterlesen

Dokumentation des GI-Webtalks zum Thema „Desinformation in sozialen Netzen“. Am 20. Juli veranstaltete die GI einen Webtalk zum Thema „Desinformation in sozialen Netzen“. Wie manifestiert sich heute Desinformation im Internet und wie gehen Medien, Politik und Informatik damit um? Was sind Wege, um die Vertrauenswürdigkeit von Online-Content zu prüfen? Und wie kann der Journalismus, der vor einem massiven Vertrauensverlust steht, zunehmend umkämpfte Wahrheiten retten? Antworten zu diesen Fragen finden Sie in der Aufzeichnung.  weiterlesen

GI-Mitglied Markus König erhält Konrad-Zuse-Medaille des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Die diesjährige Konrad-Zuse-Medaille des ZDB geht an Markus König von der Ruhr-Universität Bochum. Markus König hat sich laut ZDB besonders um die Informatik im Bauwesen verdient gemacht und ist langjährig in der GI aktiv. Die Konrad-Zuse-Medaille wird mit verschiedenen Schwerpunkten abwechselnd von der GI und dem ZDB verliehen. Wir gratulieren.  weiterlesen

GI veranstaltet Webtalks zum Projekt #HackTheSummer. Die GI ist in einen Sommer voller digitaler Ideen für Nachhaltigkeit gestartet. Die Termine des Projektes stehen fest und bieten bis September Diskussionen mit spannenden Gästen, um Schülerinnen und Schüler (aber natürlich auch Erwachsene) zur eigenen Idee für eine bessere und nachhaltigere Welt zu inspirieren. Themen, Termine und Anmeldedetails finden sich unter.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Rückblick: erster Computerladen der Welt vor 45 Jahren eröffnet. Ein Leben ohne Computerläden an jeder Ecke kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Vor Jahrzehnten sah dies natürlich noch völlig anders aus. Ein Rückblick auf die Eröffnung des ersten Computerladens in Los Angeles.   Zum Fundstück (heise.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 268 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der die Teile für seine ersten Computer noch in richtigen Computerläden gekauft hat – und diese selbstverständlich völlig unbiometrisch bezahlt hat. Die Mitteilungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar vor der Sommerpause erscheint am 7. August 2020.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.