GI-Radar 231: Algorithmus vermittelt Arbeit

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in der letzten Ausgabe hatten wir im Fundstück noch mit Sorge darauf geblickt, wie die Automatisierung Menschen arbeitslos macht. Mit dieser Ausgabe vollziehen wir eine Kehrtwende und schauen uns einen Algorithmus an, der Arbeitslosen hilft, wieder in Arbeit zu kommen (Thema im Fokus). In den Kurzmitteilungen verlinken wir unter anderem auf einen Beitrag, der sich mit der Rolle der Frauen in der Informatik befasst. Das Fundstück ist dieses Mal etwas für die Perfektionisten unter Ihnen.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

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Frauen in der Informatik + Wie ticken Hacker? + Urheberrechtsreform + Facebook und die Ethikforschung + Fraunhofer startet Login-Dienst + Arbeitsmarkt-Chancen-Modell + neues Informatik Spektrum + INFORMATIK 2019 + Video-Rückblick: INFORMATIK 2018 + Welches Design ist korrekter?

KURZMITTEILUNGEN

Allein unter Männern: Frauen in der Informatik (Deutschlandfunk). Frauen sind – das wissen wir alle – in der Informatik in den allermeisten Gebieten nicht oder kaum vertreten. Wie sich dies auf die Arbeit auswirkt und woran es mangelt, erläutert die Sprecherin der GI-Frauengruppe in einem Interview.  weiterlesen

Psychogramm eines Hackers (ZEIT). Im letzten Radar haben wir ausführlich über das Veröffentlichen privater Daten durch einen Schüler berichtet. Was solche Personen antreibt, wo sie sich austauschen und wie sie gestrickt sind, fasst eine Analyse zusammen.  weiterlesen

Urheberrechtsreform – kommt sie, kommt sie nicht? (FAZ) Über die Reform des Urheberrechts wird erbittert gestritten: Nutzerinnen versus Urheber, Unternehmen versus Privatpersonen, Verlage versus Suchmaschinen. Jeder wähnt sich im Recht, Gerichte beschäftigen sich damit und Parlamente. Die Mitgliedsstaaten streiten untereinander, aber noch sei eine Einigung in Sicht, heißt es.  weiterlesen

Facebook finanziert Ethikforschung (Welt). Facebook tut, was keiner dem Unternehmen zutraut: es kümmert sich um Ethik. Zumindest gibt Facebook Geld dafür aus, indem es einen entsprechenden Lehrstuhl an der TU München finanziert.  weiterlesen

Login-Dienste außerhalb von Facebook und Google (heise). Sich mit einem Facebook- oder Google-Konto überall anmelden zu können, mag praktisch sein. Aus Datenschutzsicht ist das jedoch keine besonders gute Lösung: Es werden Daten gesammelt und verknüpft, was das Zeug hält – und was man kaum nachverfolgen kann. Fraunhofer will jetzt einen datensparsamen Login-Dienst anbieten.   weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Das AMS-Arbeitsmarkt-Chancen-Modell. Die Unterstützung arbeitssuchender Menschen soll künftig effizienter gestaltet werden. Daher wird bereits ab diesem Jahr in Österreich ein Algorithmus Arbeitslose in Bezug auf ihre Arbeitsmarktchancen beurteilen, bevor eine weitere Förderung gewährleistet wird.

Die Synthesis Forschung GmbH aus Wien, die den Algorithmus entwickelt hat, stellt in ihrer Dokumentation (forschungsnetzwerk.at) über das verwendete Modell die Variablen dar, welche in die Bewertung des Algorithmus einfließen: Geschlecht, Alter, Staatsbürgerschaft, Ausbildung, Betreuungspflichten, gesundheitliche Einschränkungen, der bisherige Beruf, das Ausmaß der Beschäftigung, die Häufigkeit und die Dauer von Geschäftsfällen (beim Arbeitsamt AMS) mit dem zugehörigen Maßnahmeneinsatz, sowie den Typ des regionalen Arbeitsmarktgeschehens. Es erfolgt nach Erfassung der Variablen eine Einteilung in die Kategorien A, B und C. Hierbei bildet die Kategorie A diejenigen ab, deren Integrationschancen in den Arbeitsmarkt sehr hoch (> 66%) sind. Kategorie C bildet entsprechend das Gegenstück zu Kategorie A und beinhaltet alle arbeitssuchenden Menschen, die dem Algorithmus nach nur wenig Potential haben wieder integriert zu werden. Alle anderen gehören Kategorie B an. Johannes Kopf, Leiter des AMS versichert, dass der Algorithmus lediglich eine unterstützende Maßnahme bildet und die Entscheidung des jeweiligen Sachbearbeiters nach wie vor maßgeblich ist. Dieser kann unter bestimmten Voraussetzungen Personen nach eigenem Ermessen auf- beziehungsweise abstufen (Der Standard).

Aus sozioinformatischer Sicht ist es zu befürworten, dass diese Entscheidung von einem Computerprogramm unterstützt wird und somit eine objektivere Einschätzung der Arbeitsmarktchancen eines Individuums erfolgen kann. Es ist nicht zu kontrollieren, ob die Einschätzung objektiv vorgenommen wurde, wenn diese nur von einem Menschen getroffen wurde. Außerdem ist die Transparenz des AMS positiv zu beurteilen, da Teile des Algorithmus und die Methodik in der Dokumentation veröffentlicht wurden. 

Ein Algorithmus kann zwar als Richtwert für eine objektive Beurteilung dienen, dennoch ist er nur so objektiv, wie er auch programmiert wurde. Im Fall des AMS-Algorithmus basiert die Gewichtung der einzelnen Variablen auf einer Studie, die die aktuelle Arbeitsmarktsituation widerspiegelt. Das heißt, wenn derzeit bereits bestimmte Gruppen in der Integrierung in den Arbeitsmarkt benachteiligt sind, werden sie es auch weiterhin, auch unter der Beurteilung durch den AMS-Algorithmus, nur eben automatisiert. Eine statische Gewichtung der Variablen wäre kritisch, da sich dann der AMS-Algorithmus nicht der möglichen zukünftigen Arbeitsmarktsituation anpassen würde. Jedoch versichert Wagner-Pinter von der Synthesis Forschung, dass geplant sei, die Gewichtung einmal im Jahr anzupassen (Futurezone).

Auffällig in der Dokumentation des AMS-Algorithmus ist die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht, Alter, Staatsangehörigkeit, Wohnort und Betreuungspflicht. Die negative Gewichtung dieser Variablen, die in den AMS-Algorithmus eingespeist werden, zeigt, dass die bekannten Nachteile der Arbeitsmarktdiskriminierung bestimmter Personengruppen verfestigt werden. AMS-Chef Johannes Kopf, erwidert darauf: „Das Sichtbarmachen der Diskriminierung schafft die Grundlage für eine gezielte Förderung durch das AMS. In Wirklichkeit ist das vorteilhaft für Frauen“ (Kurier.at).

Betrachtet man die Gewichtung der Variablen des AMS-Algorithmus näher, stellt man fest, dass arbeitssuchende Frauen einen Abzug von 0,14 Punkten aufgrund ihres Geschlechts erhalten. Zusätzlich bekommen arbeitssuchende Mütter einen Abzug von 0,15 Punkten wegen ihrer Betreuungspflichten. Kritisch ist zudem, dass letzteres nur arbeitssuchenden Müttern abgezogen wird, jedoch nicht arbeitssuchenden Vätern. Über 50-Jährigen werden 0,7 Punkte aufgrund ihres Alters abgezogen. Menschen aus der EU bekommen ein Plus von 0,16 Punkten, während Menschen aus Drittstaaten einen Abzug von 0,05 Punkten erhalten. Außerdem kann der Wohnort einen Abzug von bis zu 0,83 Punkten geben und beeinträchtigte Menschen erhalten einen Abzug von 0,67 Punkten in ihrer Bewertung.

Die Trefferquote des Algorithmus liegt laut Johannes Kopf bei 85%, dies bedeutet, dass derzeit konkret 50.000 Arbeitssuchende pro Jahr falsch eingestuft werden (Futurezone). Hierfür ist es wichtig, dass die einzelnen Mitarbeiter für das neue Programm geschult werden, damit ihnen bewusst ist, dass ein Algorithmus durchaus fehleranfällig sein kann und die persönliche Beurteilung immer noch eine zentrale Rolle spielt.

Alles in allem ist die immer häufigere Verwendung von Algorithmen in Bereichen, die weitgehenden Einfluss auf das Leben vieler Menschen haben, eine Entwicklung, die man weiter beobachten sollte. Im Endeffekt hängt der Nutzen immer von der jeweiligen Gestaltung des Algorithmus ab und der Tatsache, ob letzten Endes immer noch reale Menschen die endgültige Entscheidung fällen können. Selbst der beste Algorithmus ist nicht in der Lage, zwischenmenschliche Werte in die Bewertung mit einfließen zu lassen.

Dieser Überblick wurde verfasst von Yasmina Adams, Elrike van den Heuvel und Johannes Korz aus unserer „Redaktion Sozioinformatik“. Sie erreichen die Autoren unter redaktion.sozioinformatik@cs.uni-kl.de.

GI-MELDUNGEN

Schwerpunkt e-science im neuen Informatik Spektrum. Das neue Informatik Spektrum ist da. Behandelt werden neben dem Schwerpunkt e-science Themen wie die Digitalisierung der Hochschulforschung, DFG-Förderung, nationale Daten- und Analyseinfrastruktur und als aktuelles Schlagwort die Vektorarchitektur. Unser Service für GI-Radar-Leser: wir verlinken hier direkt auf das Heft-PDF.  weiterlesen

Call for Papers für die INFORMATIK 2019. Bis zum 19. April sind Sie aufgerufen, Ihr Paper zu einem der Tracks auf der GI-Jahrestagung INFORMATIK 2019 in Kassel einzureichen. Dabei geht es unter anderem um Themen wie Data Science, Rechtsinformatik, Energieinformatik, digitale Bildung, Sicherheit und weiteres mehr.  weiterlesen

Rückblick auf die INFORMATIK 2018. Die INFORMATIK 2018 in Berlin ist vorbei, aber nun gibt es eine Interview-Reihe zu den Fragen der Tagung zum Nachhören und Nachsehen im GI-Channel auf Youtube. Unter anderem Constanze Kurz, Ranga Yogeshwar, Catrin Misselhorn und Judith Simon äußern sich zu Fragen von KI, Ethik, Algorithmen und Digitalisierung.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Finde den Fehler. Kennen Sie das? Sie benutzen eine Webseite oder eine Anwendung. Sie starren auf den Bildschirm und denken sich, irgendetwas stimmt hier nicht. Nach eingehender Analyse, z.B. mit einem (echten) Lineal steht fest: Ein Textblock ist nicht korrekt an den übrigen ausgerichtet, sondern um einen Pixel zu weit eingerückt. Wenn Sie glauben, dass Sie einer von den Menschen sind, die einen Blick für solche Details haben, dann werden Sie Spaß an unserem Fundstück haben. Sie bekommen nacheinander immer jeweils zwei Designs präsentiert. Sie sollen entscheiden, welches davon einen Fehler enthält. Der Schwierigkeitsgrad steigt schnell an. Nicht schummeln – das Lineal bleibt in der Schublade!   Zum Beitrag (cantunsee.space, engl.)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 231 des GI-Radars. Zusammengestellt wurde sie von Dominik Herrmann, der sich mit Sorge vorstellt, wie die Perfektionisten unter den Lesern das GI-Radar Pixel für Pixel mit dem Lineal sezieren. Sollten Sie tatsächlich einen Designfehler finden: Bitte melden Sie sich! Die GI-Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 8. Februar 2019.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.