GI-Radar 237: Bodycams bei der Polizei

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen geht es unter anderem um das kontroverse Thema Ethik im „Zeitalter der Digitalisierung“. Das Thema im Fokus befasst sich mit Bodycams bei der Polizei. Das Fundstück dürften vor allem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter unseren Lesern unterhaltsam finden.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

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Ökologie und Digitalisierung + Überwachung von IoT-Geräten + Ethikräte überall + KI-Leitlinien + Digitaler Humanismus + autonomes Fahren + Sicherheit von Arztpraxen + Bodycams bei der Polizei + Modernisierung der Berufsbildung + neues Informatik Spektrum + DevCamp in München + KI im Mittelstand + Autoreject

KURZMITTEILUNGEN

Digitalisierung und Ökologie: ein Widerspruch in sich (NZZ). Bislang gelten in erster Linie der Verkehr und die Landwirtschaft als die größten Schadstoffemittenten. Dass aber die Digitalisierung mit Streamingdiensten, Smartphones und der allgegenwärtigen Vernetzung nahezu doppelt so viel CO2 produziert wie die zivile Luftfahrt, lohnt doch einen Blick.  weiterlesen

IoT-Geräte besser überwachen (princeton.edu). Eine Forschergruppe aus Princeton hat ein Tool veröffentlicht, mit dem man auch ohne technischen Sachverstand „intelligenten“ Geräten auf die Finger schauen kann. Neben der Software (aktuell nur für macOS, weitere Betriebssysteme sollen folgen) gibt es auf der Seite ein Demo-Video, die bisherigen Publikationen und leicht zugängliche weitere Informationen.  weiterlesen

Lässt sich ein guter Ruf kaufen? Warum Unternehmen plötzlich mit Ethik punkten (wollen) (SZ). Große Konzerne haben häufig einen schlechten Ruf: Umgang mit der Belegschaft, zweideutige Forschung, Gewinnmaximierung, Datenschutzverletzungen und Manipulation der öffentlichen Meinung: der Vorwürfe gibt es viele. Deshalb werden häufig Ethik-Räte eingesetzt. Doch: was bewirken sie wirklich? Ein Kommentar.  weiterlesen*

Ethische Leitlinien der EU für Umgang mit Künstlicher Intelligenz (ZEIT). Über die Frage, was Algorithmen „dürfen“, wird schon lange debattiert. Manches ist hilfreich und nützlich, bei anderem kann man geteilter Meinung sein. Und je nachdem, wer worauf schaut, fällt das Urteil durchaus unterschiedlich aus. In der EU wurde nun versucht, Leitlinien zu entwickeln, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Damit will man sich von den USA und China absetzen.  weiterlesen

Autonomes Fahren mittels WLAN oder 5G? Ein Streit hinter den Kulissen (Handelsblatt). In der EU soll entschieden werden, mit welcher Technik autonom fahrende Autos künftig kommunizieren sollen: mittels WLAN oder 5G. Dieser Streit ist nicht nur einer zwischen den großen nationalen und internationalen Autoherstellern, die entweder das eine oder das andere favorisieren. Er entzündet sich auch an der politischen Frage, ob in Europa europäischen Technologien der Vorrang gewährt werden kann, soll und darf.  weiterlesen*

Arztpraxen nur unzureichend gesichert (taz). Laut einer Untersuchung des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) sind Arztpraxen nur unzureichend gesichert. Passwortschutz, Firewalls und Anwendungen seien häufig nicht auf dem neuesten Stand. Zum Teil seien Praxen sogar komplett ohne Schutz und damit aus dem Web erreichbar.  weiterlesen

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THEMA IM FOKUS

Bodycams bei der Polizei. Der Widerstand gegen die Staatsgewalt ist in Deutschland im Jahr 2018 um 40% im Vergleich zum Vorjahr gestiegen (bka.de). Abhilfe verspricht man sich von Bodycams, also Kameras, die von polizeilichen Einsatzkräften sichtbar an ihrem Körper getragen werden. Bodycams sollen das Geschehen während eines Einsatzes dokumentieren. Das aufgenommene Filmmaterial kann später zum Beweismittel werden. Bodycams sollen auch deeskalierend wirken und dadurch die Einsatzkräfte vor Gewalt schützen.

In Deutschland werden Bodycams bereits in sechs Bundesländern eingesetzt: Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Saarland und Rheinland-Pfalz. Die Länder testeten den Einsatz vor dem endgültigen Beschluss stets mit einem Pilotversuch, um den Effekt der Kameras zu untersuchen. Infolgedessen wurde 2018 zum Beispiel im neuen Polizeiaufgabengesetz in Bayern der Einsatz von Bodycams geregelt, einerseits zum Eigenschutz der Polizeibeamten, aber auch zum Schutz von Dritten.

An der Universität Koblenz-Landau wurde die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger gegenüber Bodycams bei der Polizei in Rheinland-Pfalz analysiert (uni-koblenz-landau.de). Die Auswertung basiert auf einer Onlinebefragung. Demnach ist einerseits die Akzeptanz von Bodycams hoch, andererseits legen die Bürgerinnen und Bürger großen Wert auf die Sicherheit Ihrer Daten. So forderten mehr als die Hälfte der Befragten, dass eine unabhängige Kontrollinstanz die Daten auswerten solle bzw. dass es im Falle eines Diebstahls unmöglich sein solle, die Daten auszulesen. Ein großer Teil der Befragten fühlte sich nicht überwacht, wenn sie von der Bodycam aufgezeichnet werden. 

Die übrigen Bundesländer befinden sich derzeit noch in Pilotversuchen. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass die Verbreitung von Bodycams weiter zunehmen wird. Die Rechtsgrundlage variiert in den Ländern: Einige Bundesländer haben eine neue Grundlage geschaffen, andere bereits bestehende Gesetze erweitert oder angepasst. In wenigen Ländern gibt es bisher gar keine Rechtsgrundlage. 

Die Bundespolizei hingegen handelt nach einer eigenen Dienstanweisung (fragdenstaat.de). Hier gibt es eine klare Gesetzesgrundlage, nämlich §27a BPolG (gesetze-im-internet.de). Dieser Paragraph regelt unter anderem folgende Punkte der „offenen Anfertigung von Bild- und Tonaufzeichnungen mittels körpernah getragener Bild- und Tonaufzeichnungsgeräte“ der Bundespolizei: Zum einen darf die „Erhebung personenbezogener Daten […] auch dann erfolgen, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind“. Des Weiteren wird das sogenannte Pre-Recording geregelt. Die Bodycams zeichnen permanent auf, jedoch verbleiben nur die letzten 30 Sekunden im Speicher der Kamera. Aktiviert der Beamte die Aufzeichnung, wird also auch das schon Geschehene dokumentiert. Alle Aufzeichnungen sind nach spätestens 30 Tagen zu löschen. Ausnahmen davon gibt es nur wenige, wie zum Beispiel eine Notwendigkeit für weitere Strafverfolgung.

Daten bei Amazon. Zuletzt wurde in der Berichterstattung kritisiert, dass Bodycam-Aufzeichnungen der Bundespolizei auf Amazon-Servern gespeichert werden. Hier ist eine differenzierte Betrachtung angebracht. Die Bundesländer speichern Aufzeichnungen in der Regel auf eigenen Systemen. Die Möglichkeit einer Speicherung auf Servern von Amazon besteht nur für die Bundespolizei.  

Die Datenspeicherung wird hier nicht durch die DSGVO geregelt, sondern durch die EU-Richtlinie 2016/680 (europa.eu). Diese Richtlinie regelt insbesondere die Verarbeitung personenbezogener Daten im Kontext der Strafverfolgung. Die Richtlinie enthält Vorgaben zur Übertragung solcher Daten an Drittländer oder internationale Organisationen unter verschiedenen Gesichtspunkten, zum Beispiel wenn geeignete Garantien für den Schutz vorgesehen sind (siehe §37 Abs. 1a).

Die Bundespolizei argumentiert, dass die Amazon-Cloud diesen Forderungen genüge. Immerhin erfülle das verwendete Produkt das vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelte C5-Testat (bsi.bund.de). Darüber hinaus garantiere Amazon, dass die Speicherung ausschließlich auf in Frankfurt am Main platzierten Servern sowie verschlüsselt erfolge.

Grundsätzlich erscheint eine Speicherung der Bodycam-Aufzeichnungen auf Amazon-Servern also datenschutzrechtlich unbedenklich. Besorgniserregend ist allerdings der von den USA im März 2018 ratifizierte CLOUD-Act (Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act). Im Jahr 2013 hatte sich Microsoft noch erfolgreich dagegen gewehrt, Kundendaten an die US-Regierung herauszugeben, die auf Servern in Irland gespeichert waren. Mit dem CLOUD-Act gibt es nun die Möglichkeit, eine Herausgabe von Daten US-amerikanischer Unternehmen zu fordern, auch wenn diese auf ausländischen Servern liegen. Demnach könnte die US-Regierung versuchen, die von der deutschen Bundespolizei gespeicherten Videoaufnahmen anzufordern. Ob eine solche Anforderung Erfolg hätte hängt davon ab, ob Amazon im Bedarfsfall dazu in der Lage wäre, die Daten zu entschlüsseln.

Ausblick. Die Debatte um personenbezogene Daten wird in Deutschland, vor dem historischen Hintergrund gesehen, häufig sehr emotional geführt. Amazon stand in der Vergangenheit häufig in der Kritik, etwa wegen der dort praktizierten umfassenden Überwachung von Mitarbeitern sowie dem Verkauf von Gesichtserkennungssoftware an die US-Regierung. Rechtlich gesehen scheint der Cloud-Service des US-Dienstleisters jedoch alle sicherheitsrelevanten Voraussetzungen für die Speicherung von Bodycam-Daten zu erfüllen. Nichtsdestotrotz wäre es natürlich gerade in diesem Bereich wünschenswert, die Hoheit über die eigenen Daten zu behalten. Daher bleibt zu hoffen, dass in Zukunft Schritte unternommen werden, um eine passende IT-Infrastruktur innerhalb der Polizei zu schaffen und damit die Abhängigkeit von externen Dienstleistern zu reduzieren.

Dieser Überblick wurde verfasst von Yasmina Adams, Elrike van den Heuvel, Shun-Jie Yan und Johannes Korz aus unserer „Redaktion Sozioinformatik“. Vielen Dank! Sie erreichen die Autoren unter redaktion.sozioinformatik@cs.uni-kl.de.

GI-MELDUNGEN

GI-Beirat Weiterbildung fordert Nachbesserungen beim Gesetz zur Modernisierung der Berufsbildung. Der GI-Beirat für Aus- und Weiterbildung bemängelt an dem vorgelegten Gesetz zur Modernisierung der Berufsbildung die missverständliche Verwendung der Begriffe „Berufs-Bachelor“ und „Berufs-Master“ sowie die fehlende Integration digitaler Kompetenzen in die Ausbildung.  weiterlesen

Informatik Spektrum zum Thema Ethik erschienen. Im GI-Mitgliederbereich und der Digitalen Bibliothek steht das neue Informatik Spektrum mit dem Themenschwerpunkt „Ethik“ bereit. Unter anderem geht es um die ethischen Leitlinien, die die GI vor einiger Zeit in einer dritten Iteration verabschiedet hat.  weiterlesen

DevCamp zur Künstlichen Intelligenz in München. Unter prominenter Beteiligung fand Mitte April in München ein DevCamp zum Thema „Challenging AI“ statt. Neben Alexander von Gernler als GI-Vorstandsmitglied diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Politik, Hochschulen und Museen über die Chancen der KI für Wirtschaft und Gesellschaft.  weiterlesen

GI will Mittelstand bei der Nutzung von KI-Anwendungen unterstützen. Gemeinsam mit verschiedenen Partnern will die GI eine Plattform aufsetzen, auf der Mittelständler Unterstützung beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unternehmen finden.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Autoreject-Generator. Unser Fundstück ist vor allem für diejenigen von Ihnen interessant, die in der Wissenschaft tätig sind. Nimmt man die Begutachtung von Veröffentlichungen ernst, nimmt dies viel Zeit in Anspruch. Manche Reviews sind sehr oberflächlich oder schlecht geschrieben. Man könnte glatt meinen, dass sie von einem Programm generiert worden sind. Das nicht ganz ernstgemeinte Projekt autoreject.org von Andreas Zeller zeigt auf unterhaltsame Weise, wie so ein Generator aussehen könnte.   Zur Webseite (autoreject.org, engl.)

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Dies war Ausgabe 237 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der gerne wüsste, was für ein GI-Radar aus einem Markov-Modell entsteht, das auf allen bisherigen Ausgaben basiert. Die Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 3. Mai 2019.

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