Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
mit dieser Ausgabe melden wir uns aus der Sommerpause zurück. Dass die zuletzt angekündigte Entlassungswelle bei Mozilla eine gute Gelegenheit für Europa wäre, in die eigene digitale Souveränität zu investieren, erfahren Sie in den Kurzmitteilungen. Das Thema im Fokus beschäftigt sich mit der Schwierigkeit Social-Media-Kanäle, über die etwa Politik gemacht wird, für nachfolgende Generationen zu archivieren. In den GI-Mitteilungen geht es unter anderem um die bald virtuell stattfindende GI-Jahrestagung. Das Fundstück kann dabei helfen, sich auch in der anstehenden dunklen Jahreszeit nach draußen zu begeben.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!
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Digitale Souveränität + Corona-Warn-App erweitern? + umstrittene Personenkennzahl + IT an Schulen überholungsbedürftig + Datenleck in Restaurant-Kontaktlisten-Dienst + Archivierung von Social-Media + GI-Jahrestagung + neues Informatik-Spektrum + BWINF startet + Stellungnahme zur Cybersicherheitsstrategie + Tagesspiegel Background Digitalisierung und KI + Randonautica
KURZMITTEILUNGEN
Digitale Hard- und Software-Souveränität in Europa (heise). Dass Europa schon in Vielem von anderen Ländern abhängig ist, ist kein Geheimnis. Wie es sich allerdings ein Minimum an digitaler Souveränität erhalten kann, indem es eigene Produkte pflegt und in Hardwareherstellung investiert, zeigt der Kommentar von Felix von Leitner auf. weiterlesen
Corona-Warn-App erweitern? (ZEIT). Derzeit gehen die Infektionszahlen mit dem Covid-19-Virus wieder in die Höhe. Fachleute befürchten einen weiteren Anstieg in den kommenden Monaten und schlagen datenschutzfreundliche Erweiterungen für die Corona-Warn-App vor, um potenzielle Risiken schneller zu erkennen. weiterlesen
Datenschutzbeauftragte halten Personenkennzahl für verfassungswidrig (Netzpolitik.org). Die Pläne der Registermodernisierung des Innenministeriums sehen vor, die Steuer-ID der Bürgerinnen und Bürger als einheitliche Identifikationsnummer zu nutzen. Die Datenschutzbehörden warnen vor Verfassungsbruch und Missbrauch. weiterlesen
IT-Management an Schulen ist überholungsbedürftig (Deutschlandfunk). Die Digitalisierung an Schulen hat – wie überall – aus der schieren Not heraus an Fahrt aufgenommen. Während nach den Sommerferien fast flächendeckend wieder zum Präsenzunterricht übergegangen wird, sollte hinter den Kulissen jedoch massiv an der Digitalisierung und der Wartung der Schul-IT und dem Aufbau von geschultem Personal gearbeitet werden. Bislang wird dies eher stiefmütterlich behandelt. weiterlesen
Chaos Computer Club (CCC) empfiehlt Bleistift statt Cloud: Restaurantlisten gehackt (Spiegel). Wer ins Restaurant geht, muss dort zwecks Corona-Kontaktverfolgung seine persönlichen Daten hinterlegen. An vielen Orten werden die Daten mittels Papier und Stift erfasst, aber es gibt auch elektronische Lösungen, beispielsweise via QR-Code. Ein Anbieter ist nun vom CCC gehackt worden. Dort ließen sich Klarnamen und Privatadressen auslesen. Bis die Systeme ausreichend abgesichert sind, empfiehlt der CCC deshalb Bleistift und Papier. weiterlesen
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THEMA IM FOKUS
Politik in den Social Media – Herausforderung für die Webarchivierung. In den USA beobachten wir dieser Tage eine neue Qualität der politischen Debatte über Social Media. Präsident Donald Trump zieht gegen die chinesische Videoplattform Tiktok zu Felde, die insbesondere bei der jungen Generation Z weltweit beliebt ist. Tiktok stelle ein Spionagewerkzeug der chinesischen Regierung dar und solle deshalb für den amerikanischen Markt verboten werden, so argumentiert das Weiße Haus. Einzige noch mögliche Alternative sei eine rasche Übernahme der US-amerikanischen Aktivitäten von Tiktok durch ein amerikanisches Unternehmen wie beispielsweise Microsoft. Diese Auseinandersetzung mit noch offenem Ausgang zeigt deutlich, wie relevant Social Media längst für die Politik geworden sind.
Dabei zählt das 2016 gegründete Tiktok trotz seiner Bedeutung etwa als Medium der „Black Lives Matter“-Bewegung längst noch nicht zu den etablierten digitalen Arenen „großer Politik“. Die länger etablierten Konkurrenten Facebook und Twitter hingegen sind aus der politischen Kommunikation und dem politischen Diskurs auf nationaler wie internationaler Ebene heute kaum noch wegzudenken. Kurzum: Social Media Plattformen beeinflussen aktiv politisches Geschehen und sind selber Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen. Zugleich sind ihre Inhalte wie alle Webressourcen hochgradig fragil. Es ist daher nötig und wichtig, sich Gedanken über die Archivierung von Social Media zu machen.
Die diversen politischen Akteurinnen und Akteure in Kommunen, Ländern, dem Bund und auf europäischer Ebene produzieren tagtäglich eine Unmenge an textlichen und bildlichen Hinterlassenschaften auf den unterschiedlichen Social Media Plattformen. All diese Posts, Tweets, Kommentare, Fotos und Videos sind zumindest potentiell von historischem Wert. Sie können als Quellen für zukünftige Forschung und Debatten wertvoll und wichtig sein. So illustrieren etwa die Aktivitäten von Politikerinnen und Politikern auf Facebook, Twitter und Co. deren Alltag in zuvor nicht gekannter Form.
Die öffentliche Kommunikation in den Social Media (ohne die privaten Interaktionen in den integrierten Messengern, in teilöffentlichen Gruppen usw.) ist zwar technisch relativ gut greifbar, aber dennoch als Archivgut eine Herausforderung. Denn wie genau etwa Facebook im Jahr 2020 „funktioniert“, sprich welche Inhalte es einzelnen Nutzerinnen und Nutzern wann und in welcher Reihenfolge präsentiert, kann kaum zutreffend rekonstruiert werden. Facebooks komplexe Algorithmen, die auf Basis des individuellen Nutzerinnen- und Nutzerverhaltens reagieren, sind dafür viel zu intransparent. Sie folgen bekanntlich dem grundlegenden Auftrag, die präsentierten Inhalte möglichst zutreffend an die Vorlieben, Interessen und Gewohnheiten der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer anzupassen. Folglich werden Beiträge, Werbung, Veranstaltungshinweise usw. den Nutzerinnen und Nutzern ganz individuell dargestellt. Jede und jeder erlebt und nutzt daher gewissermaßen ein personalisiertes Facebook. Bei der Archivierung dieser Plattform ist es geradezu unmöglich, ihre komplexen sozio-technischen Mechanismen und damit die individuelle Anmutung der Seite in realistischer Weise abzubilden bzw. zu einem späteren Zeitpunkt zu reproduzieren. Der jeweilige dynamisch generierte Kontext einzelner auf Facebook geposteter Textfragmente geht somit bei der Archivierung größtenteils verloren. Um überhaupt einen plastischen Eindruck vom heutigen Facebook zu bewahren, wird das sogenannte „Session Filming“ eingesetzt. Hierfür werden Testpersonen beim Surfen auf Facebook gefilmt, um ihr individuelles Erlebnis festzuhalten.
Im Unterschied zu Facebook und Twitter sind neuere Social Media wie Tiktok, Jodel und selbst Instagram bislang noch kaum in den Fokus der Webarchivierung gerückt. Ganz zu schweigen von beliebten Messengerdiensten wie WhatsApp und Telegram: Sie werden zwar politisch immer relevanter, aber eine geeignete Archivierungsstrategie fehlt hierfür noch vollkommen. All die Wahlkampagnen und Beispiele politischer Kommunikation, die auf diesen Plattformen und Onlinediensten praktiziert werden, drohen deshalb als historische Zeugnisse vollkommen verloren zu gehen. Ein Überlieferungszufall kommt allenfalls zur Hilfe, wenn beispielsweise Pressemedien die politischen Debatten auf diesen Plattformen thematisieren, daraus zitieren und vielleicht sogar mit ein paar Screenshots illustrieren. Das ist tröstlich, aber beileibe keine befriedigende Lösung. Die Webarchivierung hinkt den neuen digitalen Technologien naturgemäß stets hinterher, und angesichts der bemerkenswert kurzen Innovationszyklen im Webbereich kämpft sie meist mit erheblicher Verspätung gegen den vollständigen Verlust der digitalen Vergangenheit an. Völlig zurecht werden die Anfangsjahre des World Wide Web heute als „Dark Ages“, also dunkle und vergessene Zeiten der Internethistorie bezeichnet. Die kommenden Jahre werden zeigen müssen, wieviel von den Unmengen an politischer Kommunikation, die tagtäglich in den verschiedenen Sozialen Medien produziert werden, in Archiven überhaupt gesichert und für die künftige Geschichtsschreibung zugänglich gemacht werden kann.
Diesen Beitrag hat Jens Crueger (jens@crueger.info) verfasst, der sich als Sprecher der Fachgruppe Langzeitarchivierung und Emulation in der Gesellschaft für Informatik engagiert. Vielen Dank!
GI-MELDUNGEN
Anmeldung zur INFORMATIK 2020 ist offen. Die 50. GI-Jahrestagung INFORMATIK 2020 war als großes Fest in Karlsruhe geplant. Nun haben wir dieses Fest umständehalber ins Virtuelle verlegt und bieten Ihnen ein spannendes Programm als Webkonferenz. Grundsätzlich ist das reine Zuhören kostenlos; dennoch bitten wir Sie um eine (kleine) finanzielle Unterstützung in Form eines „Supporter“-Tickets, da natürlich auch eine Webkonferenz Kosten verursacht. Vielen Dank für Ihre Solidarität! Registrierung und Programm finden Sie hinter dem Link. weiterlesen
Informatik Spektrum: Sonderheft 50 Jahre Informatik. Im letzten Jahr ist die GI 50 geworden. Das neue Informatik Spektrum wirft einen Blick in die Vergangenheit der Informatik und der GI und einen in die Zukunft. Unter der Ägide von GI-Past President Heinrich C. Mayr ist ein bunter Bilderbogen von Geschichte und Zukunft entstanden. weiterlesen
BWINF-Start am 1. September. Am Dienstag hat der 39. Bundeswettbewerb Informatik begonnen. Über mehrere Runden verteilt werden die Aufgaben schwieriger und die Lösungswege anspruchsvoller. Eine gute Gelegenheit, die eigenen Ideen und das eigene Wissen zu nutzen und tolle Preise zu gewinnen. weiterlesen
Cybersicherheitsstrategie: Mehr Schutz gefordert. Bei der Modernisierung der Cybersicherheitsstrategie der Bundesregierung sind Vereine und Verbände um Stellungnahmen gebeten worden. Auch die GI war hier gefragt und hat sich in Person ihres Vizepräsidenten Alexander von Gernler für eine Stärkung der Rechte des Einzelnen eingesetzt. weiterlesen
Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI für GI-Mitglieder zum Testen. Für einen verlängerten Bezugs-Zeitraum von 6 Wochen stellt der Tagesspiegel GI-Mitgliedern seinen Background Digitalisierung und KI kostenlos zum Testen zur Verfügung. Im Anschluss des Probebezuges gibt es die Möglichkeit, das Briefing zu vergünstigten Konditionen für ein Jahr zu beziehen. Mehr Informationen erhalten Sie über den Link. weiterlesen
Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Nadine Bergner, GI-Präsidiumsmitglied und GI-Junior-Fellow schreibt im Tagesspiegel über die Notwendigkeit der Digitalisierung im Schulunterrichts. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.
FUNDSTÜCK
Randonautica. Zum Abschluss möchten wir Sie auf die App Randonautica aufmerksam machen. Diese App wählt zufällige Orte in der eigenen Umgebung aus. Zu diesen Orten soll man sich dann begeben. Das macht Spaß? Anscheinend schon – die App wurde mehr als 8 Millionen mal heruntergeladen und hat eine aktive Fangemeinde. Unser Fundstück berichtet über die Gruppe der „Randonauts“ und was Menschen antreibt, sich in ihrer Freizeit von einer App vorschlagen zu lassen, wo sie hingehen sollen. Zum Fundstück (theatlantic.com, engl.)
Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!
Dies war Ausgabe 270 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der bei Gelegenheit mal ein Boot bräuchte, um zu einer ganz bestimmten Stelle mitten in der Regnitz zu gelangen. Die Mitteilungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 18. September 2020.
Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.
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