GI-Radar 226: Die neue Mathematik

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

im Thema im Fokus dieser Ausgabe fragt einer unserer neuen Junior-Fellows: Ist die Informatik vielleicht so etwas wie die Mathematik des 21. Jahrhunderts? In den Kurzmitteilungen geht es unter anderem um Musik und wie Computer diese mit Verfahren des maschinellen Lernens analysieren können. Eine anschauliche Einführung in ein solches Verfahren (Entscheidungsbäume) gibt unser Fundstück.

Nun wünschen wir Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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KlarText-Preis: Musik-Erkennung + Ergebnisse von den Moral Machines + Probleme durch fehlende biometrische Merkmale + Gipfel „Digitale Bewegung“ + Informatik: Mathematik des 21. Jahrhunderts? + Präsidiumswahl 2018 + Studie zur Regulierung von Algorithmen + DeLFI-Proceedings + Entscheidungsbäume erklärt

KURZMITTEILUNGEN

Informatiker erkennt Musik: Preis der Klaus-Tschira-Stiftung (klartext-preis.de). Viele Menschen merken bei den ersten Klängen eines Stückes intuitiv „Das ist Beethoven.“ oder „Das ist auf jeden Fall Barockmusik“, auch wenn sie das konkrete Stück nicht kennen. Christoph Weiß aus Ilmenau hat in seiner Dissertation beschrieben, wie man so etwas einem Rechner beibringt. Für seine Dissertation zu dem Thema hat er den KlarText-Preis erhalten. Die Idee beschreibt er in einem sehenswerten Video.  weiterlesen

Das moralische Dilemma beim autonomen Fahren: Ergebnisse (MIT Technology Review, engl.). Im März hatten wir im GI-Radar gefragt „Wen würden Sie überfahren?“ und Ihnen die „Moral Machine“ des MIT vorgestellt. Dort musste man anhand verschiedener Verkehrssituationen entscheiden, wer im Notfall eher zu Schaden kommen soll. Inzwischen liegt eine Auswertung vor, die die Entscheidungen von rund 40 Millionen Menschen enthält. Es gibt erhebliche regionale Unterschiede. Während Befragte aus westlichen Kulturen eher Kinder als alte Menschen verschonen, ist dies in östlichen Kulturen eher umgekehrt.  weiterlesen

Biometrie: wer nicht maschinenlesbar ist, existiert nicht mehr (SZ, 7 min). Biometrische Merkmale werden immer häufiger gespeichert und zur Authentifizierung genutzt. Was beim Entsperren des Rechners per Fingerabdruck einfach nur bequem ist, kann in anderen Zusammenhängen existenzielle Probleme verursachen. In der indischen Stadt Bangalore konnte sich beispielsweise eine leprakranke Frau nicht mehr ausweisen, da sowohl ihre Iris als auch ihre Hände durch die Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen worden waren.  weiterlesen

Gipfel „Digitale Bewegung“: wohin führt uns die KI? (Handelsblatt, 6 min). Der provokative Ausspruch, dass das menschliche Gehirn eher Probleme schafft und die KI eher Probleme löst, dürfte auf Widerspruch stoßen – zumindest wenn man Diskussionen über die Risiken der Informatik in den Medien verfolgt. Dass das Thema Künstliche Intelligenz differenzierter betrachtet werden kann, zeigte der Gipfel „Digitale Bewegung“, der neben Informatikern auch Fachleute aus der Philosophie, der Kunst, der Medizin und der Wirtschaft zusammenbrachte. Eine Zusammenfassung.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Ist die Informatik die Mathematik des 21. Jahrhunderts? Natur- und Ingenieurwissenschaften stehen fest auf dem Fundament der Mathematik. Recht treffend proklamierte David Hilbert (Wikipedia) bereits im Jahr 1930 auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Königsberg: „Die Mathematik ist das Instrument, welches die Vermittlung bewirkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Beobachten: Sie baut die verbindende Brücke und gestaltet sie immer tragfähiger. Daher kommt es, dass unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung der Natur beruht, ihre Grundlage in der Mathematik findet.“ (quotez.net). Zu der Zeit von David Hilbert beschäftigten sich die Wissenschaften mit den verschiedensten Facetten der Natur. Die Herausforderung der Menschheit bestand darin, die Natur zu verstehen und dieses Verständnis auf geeignete Weise für sich nutzbar zu machen. Die Mathematik lieferte dem Wissenschaftler die passenden Modelle und Theorien für seine praktischen Beobachtungen und förderte dadurch Verständnis und Fortschritt.

In den letzten knapp 100 Jahren hat sich vieles verändert. So hat der Wissenschaftler im 21. Jahrhundert ein ganz neues Instrument für seine Forschung zur Verfügung: den Computer. Was die Mathematik für die Natur ist, ist die Informatik für den Computer – alle Wissenschaften, die sich zur Beantwortung ihrer Fragestellungen des Computers bedienen, finden ihre Grundlage in der Informatik. Sollte man so inzwischen daher nicht besser sagen: „Die Informatik ist das Instrument, welches die Vermittlung bewirkt zwischen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Beobachten: Sie baut die verbindende Brücke und gestaltet sie immer tragfähiger. Daher kommt es, dass unsere ganze gegenwärtige Kultur, soweit sie auf der geistigen Durchdringung und Dienstbarmachung von Computern beruht, ihre Grundlage in der Informatik findet“? 

Was wären nun die praktischen Konsequenzen aus diesem Gedankenexperiment? Muss sich die Bedeutung der Informatik in Wissenschaft und Gesellschaft bis zum Jahr 2030 grundlegend verändern? Müssen wir der regen Inflation der Bindestich-Informatiker (Medizininformatiker, Wirtschaftsinformatiker, Bioinformatiker, Medieninformatiker, Umweltinformatiker, Geoinformatiker, Verwaltungsinformatiker und viele andere mehr) Einhalt gebieten und stattdessen Informatik zur Grundlagendisziplin – selbstverständlich neben der Mathematik – erheben (Spiegel)? Müssten wir dann nicht jeden angehenden Akademiker zu Grundlagenveranstaltungen im Bereich der Informatik verpflichten? Müssten wir dann nicht – frei nach Kant (Wikipedia) – fordern: „Habe Mut, dich deines eigenen Computers zu bedienen!“. Dürfen Informatiker noch länger die einzigen Wissenschaftler sein, die Software entwickeln statt sie nur zu benutzen?

Was denken Sie zu diesem Thema? Diesen Beitrag hat GI-Junior-Fellow Prof. Dr. Simon Nestler verfasst. Vielen Dank! Ihr Feedback zu diesem Gastbeitrag können Sie ihm gerne auch direkt an simon@nestlers.de senden.

GI-MELDUNGEN

GI-Präsidiumswahl 2018 gestartet. Ab sofort sind Sie aufgerufen, drei Personen für das GI-Präsidium zu wählen. Sechs Kandidatinnen und Kandidaten stehen zur Wahl, darunter drei Vertreter der Wirtschaft, eine Professorin und zwei Nachwuchswissenschaftler (unter anderem der Redakteur unseres GI-Radars). Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch! Weitere Informationen zur Wahl, den Personen und zum direkten Wahlzugang finden Sie über den Link.  weiterlesen

Studie zur Regulierung von Algorithmen vorgestellt. In Berlin hat die GI die Studie ihrer Fachgruppe Rechtsinformatik vorgestellt, in der algorithmische Entscheidungswege untersucht werden. Die Studie befasst sich unter anderem mit der Frage, ob und wie sich automatisierte Diskriminierung verhindern lässt.  weiterlesen

Digitalisierungs(wahn)sinn: Proceedings der DeLFI-Tagung online. Der Tagungsband zur 16. Fachtagung E-Learning ist nun in der Digitalen Bibliothek der GI verfügbar. Herausgegeben von Detlef Krömker und Ulrik Schroeder widmet er sich in seinen Beiträgen der Frage, wie Informatikerinnen und Informatiker den Weg der Bildungstransformation konstruktiv gestalten können.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Entscheidungsbäume erklärt. Alle sprechen momentan über Künstliche Intelligenz. Zum Einsatz kommen dabei oft Verfahren aus dem Bereich des maschinellen Lernens, die letztlich auf Methoden der Statistik basieren. Unser Fundstück erläutert sehr anschaulich, wie Entscheidungsbäume funktionieren und warum diese in der Praxis häufig an Grenzen stoßen.   Zum Beitrag (r2d3.us)

Dieses Fundstück hat uns Martin Müller vorgeschlagen. Vielen Dank! Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 226 des GI-Radars. Aufbereitet wurde sie von Dominik Herrmann, der um Nachsicht dafür bittet, dass er beim letzten Mal ein falsches Erscheinungsdatum angekündigt hat. Die GI-Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 16. November 2018.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.