GI-Radar 233: Informatik im Primarbereich

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

unser Thema im Fokus ist aus aktuellem Anlass die Verabschiedung der GI-Empfehlungen zur informatischen Bildung im Primarbereich (Grundschule). In den Kurzmitteilungen wird unter anderem die Digitalisierung kritisch hinterfragt. Unser Fundstück ist etwas für's Auge.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

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E-Evidence-Verordnung + Digitalpakt Schule + Suizidprävention + überschätzte Digitalisierung + GI-Empfehlungen für Primarbereich + GI-Fellows gesucht + GI-Neujahrsempfang + Peter Liggesmeyer zu KI-Fachkräften + this person does not exist

KURZMITTEILUNGEN

Die E-Evidence Verordnung: schützenswerter Datenschutz (ZEIT). Über die Herausgabe elektronischer Beweismittel wird derzeit verhandelt, innerhalb der EU und möglicherweise demnächst auch mit den USA. Auf der Suche nach Beweismitteln könnten dann ausländische Ermittler direkt Telekommunikationsanbieter kontaktieren. Will man das (ermöglichen)? Hier gilt es, eine Abwägung mit Augenmaß zu treffen und eine ausgewogene Verordnung zu erreichen.  weiterlesen

Digitalpakt Schule beschlossen (ZEIT). Lange wurde darum gerungen, ob und wieweit sich der Bund bei der Bildung engagieren darf und soll – welche laut Grundgesetz ausschließlich in der Hoheit der Länder liegt. Nun ist ein Kompromiss gefunden und der Digitalpakt besiegelt worden. Der Bund gibt fünf Milliarden Euro für die technische Ausstattung der Schulen. Ein Punkt bleibt allerdings ungelöst: wie sieht es mit der Qualität der Schulbildung aus? Ein Kommentar.  weiterlesen

Suizidprävention durch Algorithmen? (FAZ). Facebook erprobt Algorithmen, die suizidale Äußerungen erkennen und entsprechende Hilfen aktivieren sollen. Indem die Beiträge auf bestimmte Signalwörter oder Verhaltensweisen durchsucht werden, sollen gefährdete Personen identifiziert werden. Allerdings wird der Algorithmus noch nicht flächendeckend eingesetzt.  weiterlesen

Digitalisierung ist nicht alles; vielleicht sogar ein überschätzter und gefährlicher Hype? (taz, 7 min). In einem Essay hinterfragt Wolf Lotter, was die Digitalisierung bringt, ob die Politik(er) versteht/verstehen, wovon geredet wird, ob Programmieren zum Denken anregt und wo Gefahren oder Chancen lauern. Eine Betrachtung aus nicht-technischer Sicht – à la Joseph Weizenbaum?   weiterlesen

THEMA IM FOKUS

GI-Empfehlungen für den Primarbereich. Ende Januar verabschiedete das GI-Präsidium die neuen Empfehlungen der GI „Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich“. Damit sind alle Schulstufen des allgemeinbildenden Schulsystems durch Kompetenzempfehlungen für Informatik abgedeckt.

Kinder wachsen in einer Welt auf, die von den neuesten Errungenschaften der Informatik geprägt ist. Dazu zählen nicht nur Smartphones, sondern auch Spielzeugroboter mit programmierbaren Sensoren und Aktoren sowie Puppen, die „nach Hause“ telefonieren. Kinder kommen also schon früh mit informatischen Strukturen und Prozessen in Kontakt; nur ist für sie der Bezug zur Informatik nicht unmittelbar erkennbar. Diese Lücke kann schon im Primarbereich geschlossen werden. Ein grundlegendes Verständnis von Konzepten aus der Informatik fördert das logische und strukturierte Denken und hilft beim Verknüpfen von Informationen – Kompetenzen, die fachübergreifend wichtig sind.

Es gilt – verantwortungsvoll – informatische Bildung als Bestandteil einer allgemeinen Bildung zu etablieren, damit Kinder einen Zugang zur Informatik finden sowie Informatik bewusst erleben und mitgestalten können.

In den vom GI-Präsidium verabschiedeten GI-Empfehlungen sind die Anforderungen an informatische Bildung für den Primarbereich bis zum Ende der Grundschule (4. Klasse) beschrieben. Diese ergänzen die Empfehlungen der GI für die Sekundarstufe I (2008) und Sekundarstufe II (2016) zu einem durchgängigen Konzept für die informatische Bildung in Deutschland.

Die Empfehlungen erstrecken sich auf Kompetenzen in jeweils fünf Prozess- und Inhaltsbereichen. Die folgenden Prozessbereiche werden abgedeckt: Modellieren und Implementieren, Begründen und Bewerten, Strukturieren und Vernetzen, Kommunizieren und Kooperieren sowie Darstellen und Interpretieren. Die folgenden Inhaltsbereiche werden abgedeckt: Information und Daten, Algorithmen, Sprachen und Automaten, Informatiksysteme sowie Informatik, Mensch und Gesellschaft.

Das in allen Teilen als Empfehlungen vom Präsidium verabschiedete Konzept gilt es durch wirksame Maßnahmen ab der Schuleingangsphase der Grundschule umzusetzen. Dazu existieren bereits zahlreiche Vorschläge für eine altersgerechte Einbettung in den Primarbereich. Didaktisch gestaltete Fachkonzepte zur Erläuterung „informatischer Phänomene“ müssen allerdings noch weiterentwickelt, erprobt und für die Grundschulen bereitgestellt werden.

Das Feld der informatischen Bildung im Primarbereich weist drei Besonderheiten auf, die berücksichtigt werden müssen:

Erstens gilt in der Grundschule das Prinzip, dass eine Lehrerin bzw. ein Lehrer möglichst viele Unterrichtsstunden in derselben Lerngruppe – also im Klassenverband – arbeitet. Das heißt, Lehrende sind in mehreren Fächern ausgebildet, aber in der Regel nicht in Informatik. Das hat zur Konsequenz, dass für den Informatikunterricht besonders gut vorbereitete (und möglichst bereits erprobte) Materialien bereitzustellen sind.

Zweitens haben die Grundschulen bereits viele Kompetenzen auszubilden. Es ist gut nachvollziehbar, dass die Lehrenden zurückhaltend auf Änderungen reagieren. Zudem wird Informatik von den Lehrpersonen oft mit medialer Bildung gleichgesetzt. Erste Erfahrungen (Erprobungen und Seminare) zeigen jedoch ein „aufbaubares“ Interesse und Kreativität hinsichtlich der Umsetzung im Unterricht – auch ohne Informatiksysteme.

Drittens ist Informatik in der Grundschule in Deutschland bisher kein eigenes Fach. Die fachdidaktische und politische Diskussion zum Ort einer informatischen Bildung ist daher weiter zu führen.

Letztlich steht und fällt alles mit der Kompetenz der Lehrenden, denn die Lehrkräfte sind der Schlüssel zur Ermöglichung informatischer Bildung. Soll Informatik in der Grundschule stattfinden, gilt es verschiedene Wege zu finden, wie Lehrkräften qualifiziert Möglichkeiten eröffnet werden, sich für den Unterricht in Informatik fortzubilden und diesen in ihrer Schule umzusetzen. Erste Beispiele zur Umsetzung finden sich auf den Seiten der WWU Münster (Webseite). Um Lehrenden den Zugang zu den behandelten Informatikkonzepten zu erleichtern, werden die GI-Empfehlungen durch ein Glossar abgerundet (GI-Empfehlungen, Seite 19 ff.).

Es ist festzustellen, dass das Interesse für Informatik bei den Studierenden des Lehramts für die Grundschule sehr groß ist. Es ist daher dringend angezeigt, dafür zu sorgen, dass bereits Studierende verpflichtende Elemente der Informatik kennenlernen dürfen und damit ihre Selbstkompetenz auf einer fachlich validen Basis entwickeln können.

Informatik trägt wesentlich zur Allgemeinbildung in einer digitalisierten Gesellschaft bei und muss bereits in der Grundschule einen Ort finden, um Informatik für Kinder als kreativen Gestaltungsbereich des Problemlösens zugänglich zu machen – und einer Genderkluft entgegenzuwirken. Die GI kann und wird sich in diesen Prozess weiter aktiv einbringen, um Deutschland fit für eine informatisch geprägte Zukunft zu machen.

Dieser Beitrag wurde von Ludger Humbert, Marco Thomas, Kathrin Haselmeier, Alexander Best und Rita Freudenberg verfasst. Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

GI-Fellows gesucht. GI-Fellows sind honorige Personen, die Besonderes für die GI und/oder die Informatik als Disziplin geleistet haben. In jedem Jahr zeichnen wir einige wenige herausragende GI-Mitglieder als GI-Fellow aus. Was einen GI-Fellow ausmacht, wie man nominiert und wie der Auswahlprozess läuft, dabei helfen wir Ihnen gerne. Wir freuen uns auf viele Nominierungen. Alle Details haben wir für Sie auf einer Webseite zusammengestellt.  weiterlesen

Neujahrsempfang von GI und Fraunhofer IuK. Am 12. Februar luden die GI und der Fraunhofer IuK-Verbund zu ihrem „traditionellen“ – heißt in diesem Fall zweiten – gemeinsamen Neujahrsempfang nach Berlin ein. GI-Präsident Hannes Federrath, Fraunhofer IuK-Vertreter Dieter Fellner und Björn Böhning aus dem Arbeitsministerium sprachen über die Digitalisierung der Arbeitswelt und mögliche Folgen für die Beschäftigten.  weiterlesen

GI-Past President Liggesmeyer im Interview des manager magazins zum KI-Fachkräftemangel in Deutschland. Deutschland hat zu wenig ausgebildete IT-Fachleute und schaut oft China und den USA hinterher – zumindest was die reine Software angeht. Die Frage ist, ob die deutschen Stärken auf Dauer ausreichen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Unter anderem muss – um mehr Fachleute zu bekommen – hierzu das verzerrte Bild der Informatik korrigiert werden, damit sich die Richtigen für die entsprechende Ausbildung begeistern.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

This person does not exist. Unser Fundstück zeigt anschaulich die Fortschritte im Bereich des Maschinellen Lernens. Ruft man die Webseite thispersondoesnotexist.com auf, erscheint ein zufälliges Porträt eines Menschen – den es überhaupt nicht gibt. Die Bilder werden von einem Algorithmus erzeugt, der sog. Generative Adversarial Networks (GANs) nutzt. Manche Bilder enthalten zwar noch erkennbare Fehler, viele sehen aber täuschend echt aus. Auf die Echtheit von Porträtfotos können wir uns in Zukunft also nicht mehr verlassen.   Zum Beitrag (inverse.com, engl.)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 233 des GI-Radars. Zusammengestellt wird sie momentan noch von Dominik Herrmann – der in wenigen Jahren sicher von einem künstlichen neuronalen Netz abgelöst wird. Die GI-Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 8. März 2019.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.