GI-Radar 289: Chatten mit dem Jenseits

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe befassen wir uns mit Chatbots, die Verstorbene zum Leben erwecken sollen (Thema im Fokus). Dass Totgeglaubte länger leben, zeigen unsere Kurzmitteilungen. Es geht wieder einmal um den Staatstrojaner. Auf das neue Informatik Spektrum weisen wir Sie in den GI-Meldungen hin. Das Fundstück macht nachdenklich, vor allem wenn Sie zu denjenigen gehören, die ein oder mehrere Social-Media-Profile besitzen.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Missbrauch detektieren + Staatstrojaner + Hacking ins Grundgesetz + Quellcode zu haben + Mobilfunkstandard unsicher + Chatten mit dem Jenseits + INFORMATIK 2021: anmelden + Informatik Spektrum + Spendenbescheinigung + BSI-Beirat + Projekt zu Umwelttechnologien + Zeitverschiebung im Internet

KURZMITTEILUNGEN

KI hilft bei Missbrauchsentdeckung (ZEIT). Das Sichten von Foto- und Videomaterial mit Kindern, denen Gewalt angetan wird, ist für den Menschen psychisch belastend. Algorithmen werden jetzt Teile der Auswertungsarbeit bei verdächtigem Material übernehmen.  weiterlesen

Staatstrojaner gebilligt (Spiegel). Der Bundestag hat dem erweiterten Einsatz des sogenannten „Staatstrojaners“ zugestimmt. Ermittlungsbehörden sollen künftig auch präventiv auf verschlüsselte Kommunikation zugreifen dürfen.  weiterlesen

Regierungshacking ins Grundgesetz: Zero-Day-Exploits nutzen (Heise). Das Innenministerium hat einen Entwurf vorgelegt, der sogenannte „Hackbacks“ und die Verwendung von Zero-Day-Exploits erlauben soll. Damit will der Innenminister auf die zunehmenden Angriffe auf IT-Infrastrukturen reagieren. Datenschützer warnen vor einem Angriff auf die Integrität und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation.  weiterlesen

Internet kaufen (Spiegel). Die einen wünschen sich ein Bild von Monet oder eine Beethoven-Partitur, die anderen haben vielleicht ähnlich viel Spaß am Quellcode des WWW. Letzteres kommt jetzt als NFT (wer unser Radar regelmäßig liest, weiß was das ist) unter den Hammer.  weiterlesen

Schwachstelle in GPRS – absichtlich eingebaut? (SZ) Der Verschlüsselungsalgorithmus GEA-1 im GPRS-Standard enthält einen Fehler: Übermittelte Inhalte könnten ausgespäht werden. GPRS wird heute allerdings kaum noch genutzt. Das Spannende ist, dass es Hinweise darauf gibt, dass die Schwachstelle bewusst eingebaut worden ist.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Moderne Séance – Chatten mit dem Jenseits. Inzwischen begegnen uns Chatbots an vielen Stellen im Internet und unterstützen sowohl Unternehmen als auch Benutzerinnen und Benutzer im Kundensupport, wie zum Beispiel die Hilfe-Heidi auf dem deutschen E-Learning Portal oncampus. Heidi könnte dabei in Zukunft nicht nur den freundlichen Avatar einer älteren Dame haben, sondern sogar einer längst verstorbenen Person nachempfunden sein.

Eine erschreckende Idee?

Bereits im Jahr 2013 befasste sich die Folge „Be Right Back“ der Serie Black Mirror mit der Möglichkeit eines Online-Services, der aus den Social-Media-Profilen von Verstorbenen Chatbots erstellt (Wikipedia). Diese und viele weitere Szenarien könnten durch ein Patent (uspto.gov), das die Firma Microsoft 2017 beim amerikanischen Patentamt einreichte und das im Dezember 2020 bewilligt wurde, vielleicht schneller Realität werden als wir es uns vorstellen möchten. Die dargestellte Methode nutzt soziale Daten wie Texte und Bilder von sozialen Medien, oder auch Audioaufnahmen aus dem Smart Home, die sich klar einer spezifizierten Person zuordnen lassen. Daraus wird im Anschluss zunächst ein Persönlichkeitsindex erstellt. Dieser kann dann genutzt werden, Chatbots zu trainieren, um im Stil der verstorbenen Person zu interagieren und zu kommunizieren.

Zusätzlich zu diesen Bemühungen, die Toten aus ihren sozialen Daten als Chatpartnerinnen und -partner wiederzubeleben, gibt es weitere Unternehmen, die sich mit der Thematik beschäftigen. Manche bieten sogar die Möglichkeit vorzusorgen und noch zu Lebzeiten einen eigenen Avatar zu erstellen, der nach dem eigenen Tod fortbestehen kann (theconversation.com).

Doch wer hat in Deutschland überhaupt das Anrecht auf die Daten eines Verstorbenen und kann nach aktuellem Stand darüber entscheiden?

Das postmortale Persönlichkeitsrecht beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern diese Rechte und der Schutz der eigenen Daten auch über das eigene Leben hinaus gelten. Tatsächlich regelt dies die DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) nicht explizit. Nach Erwägungsgrund 27 der DSGVO gilt nämlich: „Diese Verordnung gilt nicht für die personenbezogenen Daten Verstorbener. Die Mitgliedstaaten können Vorschriften für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verstorbener vorsehen.“ (dsgvo-gesetz.de)

In Deutschland wurden bislang jedoch keine Gesetze zum Umgang mit personenbezogenen Daten Verstorbener verabschiedet und folglich ist die Gesetzeslage hierzulande tatsächlich unklar. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Daten Verstorbener zur freien Verfügung stehen und damit gemacht werden kann, was man möchte (datenschutz-notizen.de).

Artikel 1 des Grundgesetzes findet nämlich auch hier Anwendung. Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen gilt auch über das Lebensende hinaus und muss geachtet werden (bpb.de).

In erster Linie spielt der Schutz des Ansehens einer Person innerhalb der Gesellschaft hier eine wichtige Rolle. Dieser schwindet nach aktueller Rechtsprechung mit der Zeit, in der das Interesse an dem Erhalt der Erinnerung abnimmt. (jstor.org). Wenn es um das mögliche „Wiedererwecken“ Verstorbener geht, könnte §189 des Strafgesetzbuches eine Rolle spielen, der die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verbietet (gesetze-im-internet.de). Es bleibt jedoch die Frage übrig, wem überhaupt die sozialen Daten wie das Facebook-Profil oder Chatverläufe einer verstorbenen Person zustehen. Grundsätzlich gilt hierbei, dass der Facebook-Account sowie alle weiteren digitalen Nachlasse nicht den Unternehmen, sondern den Erben zustehen.

Diese haben nach deutscher Rechtsprechung die Möglichkeit, Einsicht in die zugrundeliegenden Daten zu erlangen. Das eigene Weiterführen der Konten verstorbener Personen ist jedoch nur erlaubt, falls die Profile mit entsprechenden Hinweisen versehen werden. Außerdem gilt es hier wiederum, das Ansehen der Verstorbenen im Sinne des postmortalen Persönlichkeitsrechtes zu wahren. Allgemein kann eine verstorbene Person den Zugriff der Erben auf ihre Konten auch per Testament regeln oder sogar verhindern (bmjv.de). Jenseits vom rechtlichen Aspekt der Thematik, bleiben jedoch auch ethische Gesichtspunkte der Debatte offen.

Durch den steigenden Internetkonsum steigt auch die Menge an Daten, die wir generieren. Fraglich ist, wie sehr unsere digitale Identität unserer realen Persönlichkeit entspricht. Schließlich geht es im Netz auch oft um Selbstdarstellung.

Die Vorstellung, dass die Nachkommen einer verstorbenen Person die Möglichkeit haben, diese nach ihrem Tod außerhalb von Erzählungen anderer selbst durch Gespräche kennenlernen zu können, ist verlockend. Jedoch sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die verstorbene Person auf ihre digitale Identität reduziert wird und man sie nicht wirklich kennenlernt. Bei berühmten Persönlichkeiten, die häufig bereits zu Lebzeiten eine öffentliche Identität konstruieren, spielen diese Bedenken möglicherweise eine untergeordnete Rolle.

Mit der genannten Technologie besteht die Möglichkeit, ein trockenes Kapitel in einem Geschichtsbuch durch eine Live-Interaktion zu ersetzen. So könnte man zum Beispiel Stephen Hawking fragen, wie zum Teufel das Universum denn bitte in eine Nussschale passen soll, und würde darauf vermutlich eine sehr brauchbare Antwort erhalten.

Nachdem eine Person verstorben ist, wird oft davon gesprochen, dass diese in Herzen, Gedanken und Gesprächen weiterlebt. Dies könnte nun im digitalen Raum zumindest teilweise Realität werden. Jedoch ist fraglich, ob Trauernde den Verlust der verstorbenen Person realisieren und somit angemessen verarbeiten können, wenn sie noch immer aktiv mit ihrer digitalen Version kommunizieren. Selbst wenn die Technologie Chancen birgt, kurzfristig über den Verlustschmerz hinwegzuhelfen, sollte bedacht werden, dass Realisierung und Verarbeitung des Verlusts notwendig sind, um sich von der verstorbenen Person zu lösen und das eigene Leben ohne diese weiterzuleben.

Da sowohl gesellschaftlich als auch politisch insbesondere im Rahmen der Verwendung neuer Technologien immer wieder Diskussionsbedarf entsteht, freuen wir uns, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken (und folgen) Sie uns gerne auf Twitter unter @society_read.

Diesen Beitrag haben Yasmina Adams, Lasse Cezanne und Sarah Groos aus der SocIeTy (ehem. Redaktion Sozioinformatik) beigesteuert. Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

INFORMATIK 2021 – jetzt anmelden. Unsere Jahrestagung rückt mit großen Schritten näher. Leider wird sie auch in 2021 noch virtuell stattfinden. Nichtsdestotrotz haben wir für Sie ein höchst spannendes Programm zusammengestellt. Ab jetzt können Sie sich dazu anmelden.  weiterlesen

Informatik Spektrum erschienen. Das neue Informatik Spektrum ist da. Mit dem Schwerpunktthema Innovation in der Softwareentwicklung verbindet es Wissenschaft und Wirtschaft in vielfältigen Blickwinkeln. GI-Mitglieder finden es sowohl in der digitalen Bibliothek als zum direkten Download im Mitgliederbereich.  weiterlesen

GI-Mitgliedsbeitrag als Spende absetzbar. Wussten Sie, dass Sie Ihren GI-Mitgliedsbeitrag als Spende absetzen können? Das mag durchaus manchmal attraktiver sein als die Deklarierung als Werbungskosten. Bei Bedarf melden Sie sich bitte bei uns, wir senden Ihnen die Spendenbescheinigung dann gerne zu.  weiterlesen

GI-Präsident Federrath vertritt die GI im Beirat Verbraucherschutz. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat GI-Präsident Federrath in den neu gegründeten „Beirat Digitaler Verbraucherschutz“ berufen. Der Beirat soll das BSI in allen Fragen rund um den Verbraucherschutz beraten.  weiterlesen

GI startet Projekt zu Digitalisierung und Umwelttechnologien. Die GI hat mit dem Netzwerk „Digital GreenTech“ (NetDGT) ein neues wissenschaftliches Querschnittsprojekt aufgesetzt. Über drei Jahre wird NetDGT elf Projekte aus der Förderlinie „Digital GreenTech“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wissenschaftlich begleiten und unterstützen.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues.

FUNDSTÜCK

Zeitverschiebung im Internet und die Folgen. Soziale Medien sind ein mittlerweile normaler Kommunikationskanal, nicht mehr nur im privaten Kontext wie in den Anfängen, als man sich über Facebook mit Studierenden der eigenen Hochschule vernetzte. Heute findet Kommunikation über die sozialen Netze auch im beruflichen Kontext statt. Das hat ungeahnte Folgen: Bilder, die in ferner Vergangenheit für das private Umfeld gedacht waren, ruinieren heute berufliche Karrieren.  Zum Fundstück (nytimes.com, engl.)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 289 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der Ihnen versichert, dass er noch lebt und kein Chatbot ist. Die Mitteilungen und Meldungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 2. Juli 2021.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.