GI-Radar 229: Urheberrechtsreform der EU

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

schon vor etlichen Wochen hatten wir festgelegt, dass es in dieser Ausgabe um die EU-Urheberrechtsreform gehen wird. Und wieder einmal hatten wir Glück – unser Thema im Fokus passt genau zu einer aktuellen Meldung: Das deutsche Leistungsschutzrecht hätte nach Ansicht eines EU-Gutachters nicht in Kraft treten dürfen (Golem). In den Kurzmitteilungen berichten wir u.a. von den Folgen eines neuen Gesetzes zur Schwächung von Verschlüsselungslösungen in Australien. Im Fundstück geht es um Datensammler, die ohne Ihr Wissen Ihre Standortdaten analysieren.

Nun wünschen wir Ihnen viel Spaß mit dieser Weihnachtsausgabe des GI-Radars!

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Meldung von Sicherheitslücken + neues Sicherheitsgesetz in Australien + privat finanzierte Hochschulbildung + AI Now + Holzmaus 1968 + EU-Reform zum Urheberrecht + KI-Strategie der Regierung + GI-Junior-Fellows gesucht + neue Präsidiumsmitglieder + unbemerkte Analyse von Standortdaten

KURZMITTEILUNGEN

Wann muss eine Sicherheitslücke gemeldet werden? (Deutschlandfunk) Über die Fristen bei der Meldung von Sicherheitslücken gibt es einen Dissens: was den einen viel zu lang erscheint, halten die anderen für durchaus adäquat. Ebenfalls umstritten ist, dass alle Sicherheitslücken zentral gesammelt und gemanagt werden sollen. Darüber sind einzelne Ministerien und die Geheimdienste gar nicht glücklich.  weiterlesen

Neues australisches Sicherheitsgesetz mit weltweiten Folgen (heise). In Australien wurde die umstrittene „Assistance and Access Bill 2018“ verabschiedet. Dieses Gesetz erlaubt es der australischen Regierung unter bestimmten Voraussetzungen, Staatsangehörige dazu zu zwingen, die Sicherheit von verschlüsselter Software durch „Insider-Angreife“ heimlich zu schwächen. Am Beispiel der Firma AgileBits, Hersteller des Passwort-Managers 1Password, wird deutlich, solche Gesetze weltweite Auswirkungen haben.  weiterlesen

Wie gut ist es, wenn ein Privatunternehmen eine ganze Fakultät massiv finanziell unterstützt? (ZEIT) In Leipzig steckt die Telekom viel Geld in den Ausbau einer Fakultät für Digitales an der HTWK. Zugleich schließt sie ihre Stiftungshochschule. Wem nützt das, wem schadet das eher, und wieviel Einfluss darf ein Unternehmen auf die Ausbildung nehmen?  weiterlesen

Forschungsinstitut AI Now warnt vor zu sorglosem Umgang mit KI (Netzpolitik). Während in Deutschland 2019 als Wissenschaftsjahr der Künstlichen Intelligenz gewidmet ist, hat die KI bereits in 2018 die Gesellschaft kräftig aufgemischt. Dass hier vielerlei Gefahren drohen, ist Konsens. Nun stellt sich die Frage, wie man der Verantwortung gerecht wird.  weiterlesen

1968: Maus aus Holz statt aus Plastik oder Fell (SZ). Vor 50 Jahren wurde die Maus erfunden - und sah noch ganz anders aus, als wir sie kennen: eckig und sperrig statt windschnittig und flach. Ein Rädchen im Innern übertrug Bewegungen an den Rechner und die Schnur erinnerte an einen Mäuseschwanz.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Urheberrechtsnovelle der EU. Im EU-Parlament werden zurzeit die Urheberrechtsgesetze unter dem Arbeitstitel „Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ bearbeitet. Diese Gesetze beziehen sich auf die Urheberrechte in der digitalen Welt. Intensiv diskutiert werden vor allem die Artikel 11 (Schutz von Presseveröffentlichungen im Hinblick auf digitale Nutzungen) und 13 (Nutzung geschützter Inhalte durch Diensteanbieter der Informationsgesellschaft, die große Mengen der von ihren Nutzern hochgeladenen Werke und sonstigen Schutzgegenstände speichern oder zugänglich machen). In der geplanten Fassung könnten diese Artikel das heutige Internet stark verändern.

Den Anstoß für die Urheberrechtsnovelle gab Günther Oettinger im Jahr 2016. In seinem Gesetzesvorschlag ging es darum, die Urheberrechtsgesetze der EU zu reformieren. Unter anderem stellte er sich darunter eine „wirksame Inhaltserkennungstechnik“ und eine 20-jährige Frist für ein sog. Leistungsschutzrecht vor.

Aufmerksamkeit bekamen die Pläne erst Anfang des Jahres 2018. Zwischen Februar und Mai wurden zwischen dem EU-Parlament und dem Rat der Europäischen Union mehrere Kompromisspapiere ausgetauscht. Nach der Annahme des Kompromissantrags (Europäisches Parlament) am 12. September durch Axel Voss sprach sich das Europäische Parlament für die Aufnahme von Trilog-Verhandlungen mit Rat und Kommission aus. Wesentliche Unterschiede zu früheren Iterationen der Reform betrafen die Dauer des Leistungsrechts (5 statt 20 Jahre), den Verzicht auf rückwirkende Geltung des Leistungsrechts und die Änderung verschiedener Formulierungen in Artikel 13. Insbesondere wurde der Begriff der „wirksamen Inhaltserkennungstechnik“ aufgegeben, um sich von der Idee der „Upload-Filter“ zu distanzieren, die von Netzpolitikern zuvor kritisiert worden war.

Der Grundgedanke der Reform ist nachvollziehbar und es ist zu begrüßen, dass sich die Politik aktiv mit Fragen des Urheberrechts in den Zeiten digitalen Wandels beschäftigt. Rechteinhaber müssen für ihre Inhalte entlohnt werden und es muss sichergestellt werden, dass geltende Rechte auch im Netz wirksam umgesetzt werden.

Auch ist positiv anzuerkennen, dass mittlerweile Änderungen hinzugefügt worden sind, die vorsehen, dass unter anderem kleinere Unternehmen, sowie Bildungseinrichtungen von den Auflagen nicht betroffen werden sollen. Aus sozioinformatischer Sicht ist die aktuelle Fassung allerdings immer noch kritisch zu sehen, da etliche Fragen zur praktischen Umsetzung weiterhin ungeklärt sind.

Je nach Ausgestaltung kann die Novelle verheerende Folgen haben. Artikel 11 sieht vor, dass Plattformen, wie etwa Google News, welche Nachrichten von verschiedenen Quellen zusammentragen und weiterverwenden, künftig die Urheber (i.d.R. Verlage) bezahlen müssen. Dies soll im Rahmen von Lizenzvereinbarungen gelöst werden. Fraglich ist jedoch, inwieweit dieses Ziel überhaupt umsetzbar ist. In Spanien führte ein ähnliches Vorhaben dazu, dass Google News seinen Dienst dort eingestellt hat, was die Verlage eine Vielzahl an Nutzern gekostet hat, die in erster Linie über den Dienst von Google auf ihre Plattform weitergeleitet worden waren (heise). Auch in Deutschland ist bereits ein Leistungsschutzrecht in Kraft. Dieses Gesetz ist ebenso umstritten und hat in der Praxis bislang nicht die gewünschte Wirkung erzielt (Netzpolitik). Das Leistungsschutzrecht in seiner jetzigen Form schützt künstlich und verhindert somit Innovationen in einem Presse- und Verlagssystem, das dringend auf zukunftsorientiere Geschäftsmodelle angewiesen ist, um langfristig Bestand zu haben.

Auch bei der Umsetzung der jetzigen Verfassung des Artikel 13 gibt es noch einige Punkte, die bei genauerer Betrachtung Fragen aufwerfen. Obwohl der aktuelle Vorschlag „Upload-Filter“ nicht mehr explizit erwähnt, ist davon auszugehen, dass Dienstanbieter solche Techniken einsetzen werden. Schließlich sollen „Online-Inhaltsweitergabedienste“ durch die Novelle dazu verpflichtet werden, nutzergenerierte Inhalte bereits vor der Veröffentlichung auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Ohne automatischen Filter ist bei der Menge der täglich hochgeladenen Inhalte eine solche Überprüfung kaum möglich. Nach dem Hochladen muss jeder Inhalt zunächst abgeglichen werden, was zu Verzögerungen bei der Veröffentlichung führen kann. 

YouTube verwendet bereits seit einiger Zeit einen eigens entwickelten Upload-Filter namens Content-ID. Trotz millionenschwerer Investitionen gelingt es dem Algorithmus nicht, fehlerfrei zu funktionieren. Legitime Videos werden vom Filter fälschlicherweise gesperrt („False Positives“). Diese Problematik würde sich (Stand heute) auch bei jedem anderen Upload-Filter ergeben. Selbst bei hohen Genauigkeitswerten von 99% und mehr würden zahlreiche Uploads zu Unrecht herausgefiltert. Hiervon betroffen sind vor allem Satire, Parodien und „Memes“, d.h. die Meinungsfreiheit wird beeinträchtigt. Der Artikel sieht zwar vor, dass es die Möglichkeit gibt, Beschwerde bei unrechtmäßigem Löschen des Inhalts einzureichen; auch fordert er eine manuelle Überprüfung von Seiten der Betreiber – unklar ist jedoch, wie solche Mechanismen von den Anbietern mit vertretbarem Aufwand umgesetzt werden sollen. Die Umsetzung von Artikel 13 könnte somit zu erheblichen Veränderungen führen, nicht nur in Sozialen Netzen, sondern bei allen Diensten, in denen Nutzer Inhalte bereitstellen können.

Dieser Überblick wurde verfasst von Elrike van den Heuvel, Shun jie Yan und Johannes Korz aus der neu gegründeten „Redaktion Sozioinformatik“. Sie erreichen die Autoren unter redaktion.sozioinformatik@cs.uni-kl.de.

GI-MELDUNGEN

GI kommentiert KI-Strategie der Bundesregierung. Der GI-Fachbereich „Künstliche Intelligenz“ hat federführend an einer ausführlichen Kommentierung der KI-Strategie der Bundesregierung mitgewirkt. Auf dem IT-Gipfel wurde die GI-Stellungnahme übergeben.  weiterlesen

GI-Junior-Fellows gesucht! Die GI möchte auch im nächsten Jahr Nachwuchstalente auszeichnen, die sich in verschiedenen Feldern um die Informatik verdient gemacht haben. Dabei ist die Praxis ebenso gefragt wie die Wissenschaft. Die bisherigen GI-Junior-Fellows engagieren sich auf vielfältige Weise in der GI: als Redakteure im GI-Radar, im Vorstand, im Präsidium und als Co-Organisatoren von Jahrestagungen. Wir wünschen uns (noch) mehr (vergleichsweise) junge Ideen und Elan. Bewerben Sie sich, oder schlagen Sie jemanden vor.  weiterlesen

GI-Präsidium: Dominik Herrmann, Daniela Nicklas und Jan Sürmeli gewählt. Am 10. Dezember ging die Wahl zum GI-Präsidium zu Ende. 16% der GI-Mitglieder haben darüber angestimmt, wen sie für die kommenden drei Jahre im GI-Präsidium sehen möchten. Wir gratulieren den Dreien und freuen uns auf die Zusammenarbeit.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

Verfolgt auf Schritt und Tritt. Haben Sie schon einmal einer Smartphone-App erlaubt, Ihren aktuellen Standort auszulesen? Dann könnte es gut sein, dass Ihre Positionsdaten an Drittanbieter übermittelt worden sind. Damit sind in diesem Fall nicht Google und Apple gemeint, sondern weitgehend unbekannte Dienstleister, die sich auf die Auswertung von Standortdaten spezialisiert haben. Die Übertragung findet teilweise auch dann statt, wenn die jeweilige App gar nicht im Vordergrund läuft. Unser Fundstück ist eine Reportage über eine spannende Recherche. Es ist aufwändig illustriert und zeigt eindrucksvoll, dass diese Form der Datensammlung durchaus problematisch ist.   Zum Beitrag (nytimes.com, 16 min, engl.)

In weiteren Beiträgen hat die New York Times Empfehlungen zum Selbstschutz und Hintergrundinformationen für technisch Interessierte veröffentlicht.

Dieses Fundstück hat Max Maaß vorgeschlagen. Vielen Dank! Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 229 des GI-Radars. Aufbereitet wurde sie von Dominik Herrmann, der sich schon auf seine nächste Amtsperiode im Präsidium der GI freut. Die GI-Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das Radar-Team verabschiedet sich mit dieser Ausgabe in die Weihnachtspause. Wir wünschen Ihnen schöne Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr! Das nächste GI-Radar erscheint dann am 11. Januar 2019.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.