GI-Radar 272: Neuro-Implantate

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen geht es diesmal unter anderem um die Entwicklungen zur Urheberrechtsreform in Deutschland sowie die Corona-Hotspot-Visualisierung von Google Maps für Android und iOS. Das Thema im Fokus beschäftigt sich mit Neuro-Implantaten, der Übernahme der Ctrl-Labs durch Facebook und den in diesem Zusammenhang entstehenden Bedenken. In den GI-Mitteilungen werden unter anderem die neuen GI-Junior-Fellows vorgestellt. Die Open-Source-Schriftart „The Polite Type“ ist das Fundstück dieses Radars.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Corona-Layer in Google Maps + KI analysiert Migrationsbewegungen + Upload-Filter kommen + KI-Agenda Rheinland-Pfalz + Neuro-Implantate + vier neue Junior Fellows + Informatik-Olympiade: Bronze + GI-Dissertationspreis für Jakub Tarnawski + GI-Jahresbericht + GI-Mentoring + The Polite Type

KURZMITTEILUNGEN

Google Maps veröffentlicht Corona-Hotspot Layer (t3n). Um die Verbreitung und die Hotspots der Corona-Pandemie besser zu visualisieren, hat Google für Android und iOS eine spezielle Kartenansicht entwickelt. So lässt sich auf einen Blick der Anteil der Infizierten je 100.000 Einwohner erkennen.  weiterlesen

Migrationsbewegungen mittels KI vorhersagen (SZ). Mithilfe von Methoden der Künstlichen Intelligenz ist es möglich, Fluchtbewegungen bis zu drei Jahren im Voraus vorherzusagen. Das verwendete Modell stützt sich auf die Grundursachen der Bewegungen sowie weitere Indikatoren und basiert auf frei verfügbaren Datensätzen.  weiterlesen*

Urheberrechtsreform: Die Upload-Filter kommen (heise)Als letztes Jahr die umstrittene EU-Urheberrechtsrichtlinie verabschiedet wurde, versprach die Politik, dass dazu keine Upload-Filter nötig seien. Nun will das Justizministerium Plattformanbieter doch dazu verpflichten, Uploads in Echtzeit auf Urheberrechtsverstöße zu überprüfen. Was das bedeutet, erläutert Julia Reda.  weiterlesen

Neue KI-Agenda in Rheinland-Pfalz (SWR). Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat die neue KI-Agenda ihres Bundeslandes vorgestellt: 10 neue KI-Professuren und Infrastruktur zur besseren Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft. Außerdem: Vertretung des Landes auf internationaler Ebene durch KI-Botschafterinnen und Botschafter, unter anderem durch Katharina Zweig, GI-Junior-Fellow der ersten Stunde.  weiterlesen

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THEMA IM FOKUS

Gedankenkontrolle durch Neuro-Implantate. Geräte mit bloßen Gedanken steuern – das soll ein sogenanntes Brain-Computer-Interface (BCI) ermöglichen. Die Schnittstelle baut eine Verbindung zwischen Gehirn und Computer auf, ohne Extremitäten oder Eingabegeräte wie Maus und Tastatur zu benötigen. Ohne die mechanischen Einschränkungen solch klassischer Eingabegeräte wird das Zielgerät effizienter angesprochen (golem). Diese direkte Kommunikation zwischen Nutzerinnen und Nutzern und Endgeräten ermöglicht beeinträchtigten Menschen einen barrierefreien Zugang zum Netz, eine entscheidende Voraussetzung zur digitalen Kommunikation und Teilhabe. Solange ihr Gehirn messbare Impulse aussenden kann, sind Beeinträchtigte in der Lage, Geräte anzusteuern.

Es gibt zahlreiche zivile Anwendungen für diese Technik – aber auch militärische: angefangen beim Verfassen von Texten über die Steuerung von Prothesen bis hin zur Kontrolle von ganzen „Drohnenschwärme[n] in Gedankenschnelle“ (heise). 

In jüngster Zeit sind auch große Tech-Unternehmen an der Brain-Computer-Interaktion interessiert. Ein Beispiel ist das Start-Up „Ctrl-Labs“, das als universitäres Forschungsprojekt gestartet ist. Die Firma wurde im Jahr 2019 für etwa eine Milliarde US-Dollar mitsamt ihren Patenten von Facebook aufgekauft (taz). Ctrl-Labs forscht an Hardware, die es dem Menschen ermöglichen soll, mithilfe seiner Gedanken und der dadurch entstehenden elektrischen Signale im Körper präzise Befehle an ein Endgerät zu senden. Beispielsweise wurde ein Armband entwickelt, mit dem sich Texte nur mithilfe von subtilen Muskelbewegungen erzeugen lassen. Bei ausreichender Übung könnten sich Informationen so deutlich schneller erzeugen lassen. Plattformen wie Facebook profitieren davon, da ihre Nutzerinnen und Nutzer ihren Content so noch einfacher generieren  können.

Neben Facebook ist auch Elon Musk mit „Neuralink“ im Besitz eines BCI-Start-Ups. Neuralink hat sich auf die Herstellung von Gehirnimplantaten spezialisiert, die sowohl elektrische Signale auslesen als auch eigene Signale an das Gehirn senden können. Diese beidseitige Funktionsweise stellt eine Neuerung auf dem Markt dar. Wie das Start-Up im August 2020 bekannt gab, wurde die Technologie bisher nur an Schweinen getestet und soll zunächst gelähmten Menschen dabei helfen, Endgeräte wie Smartphones oder Computer bedienen zu können (t3n). Obwohl das Unternehmen bisher noch kein Produkt auf den Markt gebracht hat, sind die Ziele für zukünftige Verwendungszwecke der Implantate durchaus ambitioniert: So sollen Beeinträchtigungen wie Taub- oder Blindheit und psychische Krankheiten geheilt werden. Auch soll es möglich werden, Musik direkt „im Kopf“ abspielen zu lassen oder mittels eines „inneren Displays“ Spiele zu spielen (heise).

Neben all der Begeisterung über die vielfältigen Möglichkeiten von BCIs sollten gewisse Punkte jedoch nicht außer Acht werden. Insbesondere die Tatsache, dass Privatunternehmen, wie z.B. Facebook massiv in die Technologie investieren und hier Vorreiter sind, ist kritisch zu sehen. Mit Schnittstellentechnik aus dem eigenen Hause wäre das soziale Netzwerk beispielsweise dazu in der Lage, noch mehr Datenpunkte zu erfassen und Nutzerinnen und Nutzern zuzuordnen. Dies würde Facebook einen wesentlich umfassenderen Blick in die menschliche Psyche erlauben als bisher.

Auch über Zugänglichkeit zu den BCIs muss diskutiert werden. Lägen die Patente und Rechte erst einmal bei Privatunternehmen, können diese den Zugang zu BCIs einschränken und monetarisieren. Es ist fraglich, ob sich die Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern mit Beeinträchtigungen, für die der Einsatz der Technologie lebensverändernd wäre, mit den privatwirtschaftlichen Interesse großer Unternehmen decken.

Verfolgt man die Vision von Neuralink weiter, stellt sich eine zusätzliche Frage: Wie sicher sind die Implantate, die direkt im Gehirn platziert werden sollen? Und wie können sich Trägerinnen und Träger eines Implantats vor einem „Hacking“ ihres eigenen Gehirns schützen? Da sich die angedachte Technologie nicht nur auf das reine Lesen und Auswerten beschränkt, sondern auch in der Lage ist, eigene Impulse zu senden, stellt die Sicherheit einen der zentralsten Punkte für die Akzeptanz und den Einsatz der BCIs dar.

Allgemein ist bei Implantaten, die die gewöhnlichen Fähigkeiten des menschlichen Körpers erweitern, fraglich, welche Anwendungen ethisch vertretbar sind und inwieweit der Gesetzgeber regulierend eingreifen sollte. Relevant ist dies vor allem bei militärischen Anwendungen, sowie bei Modifikationen, die Trägerinnen und Trägern einen signifikanten Vorteil gegenüber Nicht-Nutzerinnen und -Nutzern bieten würden.

Dieser Artikel wurde von Yasmina Adams, Marlon Gehlenborg und Johannes Korz verfasst. Da durch die Verwendung neuer Technologien immer wieder ethisch fragwürdige Situationen entstehen, würden wir uns freuen, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken Sie uns gerne auf Twitter mit dem Hashtag #RedaktionSozioinformatik.

GI-MELDUNGEN

Junior Fellows 2020. Am 1. Oktober 2020 sind die diesjährigen GI-Junior-Fellows ausgezeichnet worden. In diesem Jahr hat der Ausschuss vier exzellente junge Leute ausgewählt: Katharina Geldreich, Christoph Gröger, Katharina Weitz und Wolfram Wingerath werden die derzeitigen GI-Junior-Fellows verstärken. Details zu den Personen gibt es hinter dem Link.  weiterlesen

Bronze bei Informatikolympiade. Der deutsche Informatik-Nachwuchs wäre so gerne zur Internationalen Informatikolympiade gefahren, aber wie überall hat Corona alles durcheinander gewirbelt. So versammelte sich das deutsche Team in Bonn und holte schlussendlich zweimal Bronze. Wir gratulieren!  weiterlesen

GI-Dissertationspreis für Jakub Tarnawski. Der diesjährige GI-Dissertationspreis geht an Jakub Tarnawski, der in der Schweiz promoviert hat. Jakub Tarnawski hat über das mathematische Problem des Handlungsreisenden geforscht und ist zu einer bahnbrechenden Lösung gekommen. Herzlichen Glückwunsch!  weiterlesen

GI-Jahresbericht erschienenWie in jedem Jahr legt der GI-Präsident einen ausführlichen Bericht über die Aktivitäten der letzten 12 Monate innerhalb und mit der GI vor. Unser Bericht ist erschienen und druckfrisch auf der Webseite verfügbar.  weiterlesen

GI-Mentoring: Wer macht mit? Seit Ende 2019 bieten wir Mentoring für junge Menschen an. Bislang haben wir 23 Mentees und 25 Mentorinnen und Mentoren unter unsere Fittiche genommen. Da das Semester aber demnächst startet, suchen wir weiter Verstärkung. Wenn Sie Ihre Erfahrungen weitergeben und einen jungen Menschen ein Jahr lang auf seinem Weg begleiten möchten, melden Sie sich! Wir freuen uns.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

The Polite Type. Hassrede und Beleidigungen sind inzwischen ein großes Problem in der täglichen digitalen Kommunikation. Verletzende Beiträge, schroffe Kommentare oder Drohungen sind in den sozialen Medien an der Tagesordnung. Vor allem Jugendliche sind von Cyberbullying betroffen. Die finnische Firma TietoEVRY startete zusammen mit Jugendlichen die Initiative „The Polite Type“. Dabei handelt es sich um eine Anti-Mobbing-Schriftart, bei der typische „Hatespeech“-Floskeln durch höflichere Formulierungen ersetzt werden. In einigen Fällen werden die Begriffe geschwärzt, etwa wenn diese nicht durch rücksichtsvollere Wörter ersetzt werden können. Die Ersetzung macht sich die Ligatur-Funktionalität des OpenType-Standards zu nutze. Bislang sind lediglich Ersetzungen für englische Begriffe hinterlegt. Auf der Seite kann die Schriftart interaktiv ausprobiert werden.  Zum Fundstück (thepolitetype.com)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 272 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie zwar wie bisher Dominik Herrmann – allerdings mit tatkräftiger Unterstützung durch die Mitglieder der Redaktion Sozioinformatik, die sich dieses Mal um die Beitragsauswahl und Zusammenfassung gekümmert haben. Die GI-Mitteilungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 16. Oktober 2020.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.