GI-Radar 283: Überwachungsbarometer

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe verlinken wir unter anderem auf eine Studie zur Nachrichtenkompetenz (Kurzmitteilungen). Das Thema im Fokus stellt das Überwachungsbarometer vor. Weiterhin geht es um die Stärkung der Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (GI-Meldungen). Das Fundstück ist eine Multimedia-Reportage, die die Schwächen eines KI-Systems aufzeigt, das Job-Interessierte anhand von Videos bewerten können soll.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Chips und Halbleiter + Nachrichtenkompetenz + Wissen der Welt + digitales Leben + sorbische Überstzung + Überwachungsbarometer + neue GI-Satzung + HAW-Stärkung + GI-Jahrestagung INFORMATIK 2021 + Berufsbilder der Digitalisierung + GI-Fellows gesucht + Bewerben bei einer Maschine

KURZMITTEILUNGEN

Chips und Halbleiter, Einsatz und Herkunft (NZZ). Erst in wirtschaftlichen Turbulenzen wird häufig klar, wo welche Abhängigkeiten bestehe. Derzeit sind fehlende Chips in aller Munde. Was Chips ausmacht, wie und wo sie hergestellt werden, fasst dieser Artikel zusammen.  weiterlesen

Studie zu Nachrichtenkompetenz der Bevölkerung (Spiegel). Die „Stiftung Neue Verantwortung“ hat eine Studie veröffentlicht, in der die Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger untersucht wurde, wie digitale Inhalte zu bewerten seien. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen besonders anfällig für Falschinformationen und Polemik sind.  weiterlesen

Wikipedia und das Wissen der Welt: wer schreibt was, wie viel und in welcher Qualität? (ZEIT) Die Enzyklopädie Wikipedia ist aus dem Alltag kaum mehr wegzudenken. Eine schnelle Information, ein schneller Überblick: Wikipedia-Artikel präsentieren dies. Aber wer steckt dahinter, wie wird die Enzyklopädie gespeist und was könnte noch besser werden? Ein Interview mit dem Vorsitzenden Lukas Mezger.  weiterlesen

Und plötzlich ist das (digitale) Leben weg (SZ). Viele Menschen organisieren mittlerweile ihr Leben und ihr Tagebuch über große Plattformen: Adressbücher, Fotos, Erlebnisse und Dokumente finden sich nicht mehr physisch im Schrank, sondern im Web. Wenn das Unternehmen dann den Zugang kappt, funktioniert plötzlich nichts mehr. Ein Bericht über die digitale Abhängigkeit.  weiterlesen

Sorbische Sprache: Machine Learning kümmert sich auch um „kleine Sprachen“ (Golem). Dass wir Texte aus dem Englischen und Französischen maschinell übersetzen können, sind wir mittlerweile gewohnt. Kleine Sprachen fallen aber oft durchs Raster. Die sorbische Bevölkerung nimmt jetzt die Erstellung eines Übersetzungsprogramms für ihre Sprache selbst in die Hand.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Das Überwachungsbarometer – Ein Ausweg aus dem deutschen Überwachungsdschungel. Von Kontoabfragen über Wohnraumüberwachung bis hin zu Vorratsdatenspeicherung, dies sind nur einige der Überwachungsmaßnahmen, die verschiedene Instanzen in Deutschland gegen natürliche oder juristische Personen durchführen können. Einen Überblick über die genauen Maßnahmen und deren Einsatz zu gewinnen, ist dabei sehr schwer. Die Überwachungsgesamtrechnung soll nun für mehr Transparenz bei den Überwachungsmaßnahmen sorgen. Die Idee dafür kam nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2005 auf, bei dem eine Rundumüberwachung verhindert und die Grundrechte stärker berücksichtigt werden sollten. 2015 wurde die Vorratsdatenspeicherung eingeführt und mit ihr das Telekommunikationsüberwachungs- und IT-Sicherheitsgesetz. Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP, forderte in diesem Zusammenhang einen Überblick über die bestehenden Sicherheitsgesetze und ihren Eingriff in die Grundrechte (YouTube).

Auch Martina Renner (Die Linke) kritisierte den fehlenden Überblick über Umfang und Nutzung der Befugnisse, mit denen die Polizei und Geheimdienste in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen (neues-deutschland.de). Anfragen zu einem Überblick über die bisherigen Überwachungen vom Parlament wurden bisher abgelehnt, da der Aufwand der Erhebung zu groß sei und zum Teil den Behörden nicht bekannt ist, welche Form der Überwachung angewendet wird (netzpolitik.org).

Im Februar 2021 präsentierten Prof. Dr. Ralf Poscher, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg und sein Team dem Bundestag ihr Konzept für ein sogenanntes „Überwachsungsbarometer“ (bundestag.de). Das Konzept stellt eine Operationalisierung der Überwachungsgesamtrechnung dar, mit dem Ziel, eine größere Transparenz in Bezug auf staatliche Überwachungsmaßnahmen zu schaffen und künftige Gesetzesänderungen besser im Kontext der bereits bestehenden Maßnahmen bewerten zu können.

Die Grundidee besteht in der quantitativen Analyse aller Zugriffe von Sicherheitsbehörden auf Massendatenbestände, die sich in öffentlicher oder privater Hand befinden, sowie der statistischen Aufbereitung. Anschließend sollen sie in verschiedene, z. B. regionale, zeitliche oder behördliche Schnitte aggregiert und verglichen werden können. Die höchste Aggregationsstufe bildet im Rahmen aller erfassten Daten somit das geplante „Überwachungsbarometer“. Dabei unterscheidet sich das Konzept von bisherigen Lösungsansätzen insbesondere dadurch, dass die zugrunde liegenden Datensätze klar abgegrenzt sind und dass anlasslos erfasste Massendaten und Datenbestände, die sich in privater Hand befinden, miteinbezogen werden. In Phase 1 des Projekts sollen zunächst alle zu berücksichtigenden Datenbestände gesichtet und eingegrenzt werden. Dies betrifft insbesondere aber nicht ausschließlich Telekommunikations-, Finanztransaktions-, Mobilitäts- und Gesundheitsdaten.

Eine Übersicht über potenziell relevante Überwachungsszenarien wurde bereits erstellt und tabellarisch aufbereitet (freiheit.org). Der Tabelle ist dabei zu entnehmen, dass die Überwachungsmaßnahmen von vier unterschiedlichen Behörden durchgeführt werden können, nämlich der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt, den Landespolizeibehörden und den Geheimdiensten. Diese können ohne Grund eine Massenüberwachung vornehmen. Zusätzlich haben acht weitere Behörden Zugriff auf die Überwachungsdaten. Die Grundlage dafür ist in verschiedenen Gesetzen verankert. So erhebt die Bundespolizei Daten gemäß § 100a StPO, das Bundeskriminalamt gemäß § 51 Abs. 2 BKAG und die Landespolizeibehörden gemäß § 23b Abs. 2 PolG BW, § 20c Abs. 2 PolG NRW Art. 42 Abs. 2 BayPAG.

Nach Abschluss der ersten Phase sieht Phase 2 eine rechtliche Analyse und normative Bewertung der erfassten Tatbestände vor. Dabei werden Voraussetzungen der staatlichen Zugriffe sowie die abstrakte Eingriffsschwere analysiert, während parallel eine Untersuchung der aktiven Zugriffspraxis erfolgt. Phase 3 ist derzeit nur abstrakt umrissen und stellt die erstmalige Implementation eines ausgereifteren Überwachungsbarometers dar, wie sie laut Prof. Dr. Poscher zum Beispiel in einer Behörde oder an einer Forschungseinrichtung angesiedelt werden könnte (bundestag.de).

Das Thema der Überwachung ist, wie bereits erläutert, an vielen Stellen undurchsichtig, sodass die Forderung nach Transparenz und einer Maßnahmenübersicht nicht nur wünschenswert, sondern erforderlich wird.

Ein Überwachungsbarometer ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung, dessen Sinnhaftigkeit jedoch kritisch zu betrachten ist. Eine solche Übersicht muss, wie vom Max-Planck-Institut dargestellt, regelmäßig aktualisiert und geprüft werden, während die Zahl der Maßnahmen weiterhin steigt. Es ist also zweifelhaft, ob diese Voraussetzung überhaupt erfüllt werden kann.

Bereits aus dem konzeptuellen Überblick konnten jedoch wichtige Einsichten gewonnen werden: Einige der bestehenden Überwachungsmaßnahmen sind schon durch andere Gesetze geregelt, sodass diese nicht zusätzlich benötigt werden. Exemplarisch hierfür steht unter anderem die Vorratsdatenspeicherung, die durch die Nutzung privater Datensammlungen nach §111 TKG bereits abgedeckt wird (netzpolitik.org, dejure.org).

Genau wie beim Datenschutz ist beim Thema Überwachung – auch wenn es mühselig ist – jeder Einzelne selbst gefordert, sich zu informieren und sich einzubringen. Den Maßnahmendschungel nachträglich in Übersichten zu erfassen, zu aktualisieren und mit einer Einschätzung zu versehen, ist überhaupt nur deshalb notwendig, weil im Vorfeld nicht ausreichend auf Transparenz, Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit geachtet wurde.

Wie können wir uns am besten einbringen? An welchen Stellen kann und sollte die Politik unterstützt werden, um von vornherein nachhaltig die benötigte Transparenz zu erreichen?

Da sowohl gesellschaftlich als auch politisch insbesondere im Rahmen der Verwendung neuer Technologien immer wieder Diskussionsbedarf entsteht, würden wir uns freuen, gemeinsam einen Diskurs zu genau solchen Fragen zu gestalten. Verlinken (und folgen) Sie uns gerne auf Twitter unter @society_read.

Diesen Beitrag hat die Redaktion Sozioinformatik beigesteuert Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

Die neue GI-Satzung ist verfügbar. Zusammen mit der Wahl der neuen Präsidiumsmitglieder haben die GI-Mitglieder über eine neue GI-Satzung abgestimmt und den Vorschlag von Präsidium und Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit befürwortet. Seit dem 3. März ist sie beim Bonner Amtsgericht im Vereinsregister eingetragen und damit offiziell gültig und auf unseren Seiten verfügbar.  weiterlesen

HAW-Beiratssprecher Barton zur Stärkung der HAWs. Thomas Barton, Sprecher des Beirats für Professorinnen und Professoren an HAWs, fasst die Forderungen des Beirats nach mehr Sichtbarkeit und Beteiligung in der GI zusammen.  weiterlesen

INFORMATIK 2021: Programm füllt sich. Die ersten hochkarätigen Rednerinnen und Redner für die diesjährige Jahrestagung stehen fest. Vortragende aus Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen präsentieren spannende Themen.  weiterlesen

Neue Berufsbilder für die Digitalisierung. Der informatikgetriebene Fortschritt bringt immer neue Berufsbilder hervor. Um diesen eine definierte Kontur zu geben und den Inhalt zu beschreiben, hat sich die GI gemeinsam mit anderen Vereinigungen an eine Positionsbestimmung gemacht. Das Papier liegt nun vor.  weiterlesen

GI-Fellows 2021: herausragende Persönlichkeiten gesucht. Wie in jedem Jahr suchen wir unter unseren Mitgliedern herausragende Persönlichkeiten, die sich für die Informatik in ihren verschiedenen Facetten in besonderer Weise eingesetzt haben. Bis Mitte Mai können entsprechende Personen vorgeschlagen werden. Details zum Auswahlprozess finden Sie hinter dem Link.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Letzte Woche fand die GI bei heise unter anderem mit unserem Webtalk zum Informatikmonitor Erwähnung. Das Portal ibusiness beleuchtet unser Positionspapier zu neuen Berufsbildern für die Digitalisierung. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues.

FUNDSTÜCK

Bewerbung bei einer Maschine: willkommen in einer neuen Wirklichkeit! Jede Personalabteilung kennt den Aufwand von Bewerbungsgesprächen und die Schwierigkeit, die passenden Menschen für die Aufgabe auszuwählen. Der Einsatz von Technologie verspricht dabei eine Erleichterung und vermeintlich auch mehr Objektivität und Fairness. Doch stimmt das wirklich? Verändert meine Brille oder meine Frisur nicht doch die erhoffte, objektive Beurteilung der KI-Technologie? Unser Fundstück ist eine aufwändig aufbereitete Reportage über einen spannenden und lehrreichen Versuch, der solche Hoffnungen dämpft: derselben Person werden abhängig von verwendeten Accessoires oder sogar Licht- und Hintergrundgestaltung sehr unterschiedliche Stärken und Schwächen zugeschrieben. Freuen Sie sich beim nächsten Job-Interview also darüber, wenn Ihnen ein Mensch gegenübersitzt.  Zum Fundstück (br.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 283 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der sich nun fragt, was eine Künstliche Intelligenz wohl aus der schlecht geputzten Whiteboard-Wand herauslesen würde, die ihm als Videokonferenz-Hintergrund dient. Die Mitteilungen und Meldungen hat GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 9. April 2021.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.