GI-Radar 321: Domänenspezifische Modellierung für Gesetze

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in dieser Ausgabe beschäftigen wir uns in den Kurzmitteilungen unter anderem mit dem geplanten Austausch sogenannter Konnektoren in Arztpraxen – der wohl gar nicht nötig wäre. Im Fokus dieser Ausgabe steht das Thema Domänenspezifische Modellierung im Kontext von Gesetzen und Ordnungen. In den GI-Meldungen erfahren Sie unter anderem, dass sich die GI neben vielen anderen Organisationen gegen die von der EU geplante „Chatkontrolle“ ausspricht. Das Fundstück ist etwas für alle, die Spaß am Knobeln haben.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Konnektoren-Austausch in Arztpraxen + Wem gehört KI-Kunst? + Digitalshoppen unverändert + Netzsperren die x-te + Sprachretusche im Film + Domänenspezifische Modellierung für Gesetze + informatiCup + GI-Präsidiumswahl + GI gegen Chatkontrolle + Zahlenknobelei

KURZMITTEILUNGEN

Verfallsdatum von Software und Hardware: ein teures Ärgernis (ZEIT). Wir alle kennen es wahrscheinlich, dass digitale Geräte nach verhältnismäßig kurzer Zeit nicht mehr funktionieren, weil es kein Update gibt, der Speicher nicht ausreicht etc. In großem Umfag kommt dieses Ärgernis jetzt auf Arztpraxen zu. Um weiterhin geschützt mit den Krankenkassen kommunizieren zu können, sollen die Verbindungsgeräte – sogenannte Konnektoren – ausgetauscht werden. Ein teurer Unsinn, meint der Chaos Computer Club. weiterlesen

Wem gehört Algorithmen-generierte Kunst? (ZEIT). Wenn ich meinem Rechner sage: „Mal mir ein Bild mit Sonnenblume, Weinflasche und Wellen“ und er „malt“ mir eins, das anschließend bei einer Auktion einen hohen Preis erzielt: wem gehört dann der Erlös? Hier stellt sich die Frage nach Besitz, Urheberrecht und Kreativität. Mit der Verbreitung von Software mit entsprechenden Kenntnissen und KI-generierter Kunst muss hier abgewogen und entschieden werden. weiterlesen

Kaum Einschränkungen bei Smartphone und Streaming geplant (Spiegel). Alles wird teurer, (fast) alle versuchen zu sparen. Ein Feld jedoch scheint davon nahezu ausgenommen: die digitale Welt, bzw. der Zugang zu ihr. Bei Smartphones und Streamingdiensten hört der Sparwille auf, zeigt eine Umfrage.  weiterlesen

Hohe Hürden bei Netzsperren (Netzpolitik). Dass jemand das Urheberrecht verletzt, rechtfertigt nicht so einfach eine Netzsperre. Entsprechend hat der Bundesgerichtshof geurteilt und damit den Klägern die Pflicht auferlegt, sich erst einmal selbst darum zu kümmern, dass ihre Urheberrechte nicht verletzt werden. weiterlesen

Zu viel f*** wird retuschiert: KI macht's möglich (Golem). Neben manchen Bildern sind in Filmen je nach Land auch manche Worte verpönt. Der exzessive Gebrauch führt dann zu einer Höherstufung in der Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK). Das will kaum jemand, und auch ein aufwändiger Nachdreh zur Eliminierung indizierter Worte bedeutet einen wirtschaftlichen Schaden. Also lässt man kurzerhand eine Software über den Film laufen, die die Mundbewegungen der Handelnden der geänderten Sprache anpasst. Wer redet da nochmal was? weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Domänenspezifische Modellierung für die Definition von Gesetzen und Ordnungen. Ein Auseinanderfallen der Gesetzesinterpretation zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung auf Basis von Verwaltungsverlautbarungen ist regelmäßig Gegenstand von Finanzgerichtsentscheidungen. Die Übersetzung von Gesetzestexten in Programmcode birgt hier noch ein zusätzliches Risiko einer Abweichung bzw. Entfernung von der durch den Gesetzgeber gewollten Gesetzesregelung. Oder wie es der Präsident des Bundesfinanzhofs a.D. Rudolf Mellinghoff ausdrückt: „Es darf nicht passieren, dass Programmierer Herrschaft über das Gesetz übernehmen“ (haufe.de). Ganz analoge Probleme existieren bei Ordnungen, Normen, Standards und insbesondere bei Verträgen, wie sich am Beispiel der eher restriktiven Anwendung der DSGVO in Deutschland im Vergleich zum Europäischen Ausland leicht erkennen lässt (sueddeutsche.de).

Im Rahmen der Studie „Digitalisierung der Gesetzgebung zur Steigerung der Digitalen Souveränität des Staates“, Berichte des NEGZ Nr. 19 (negz.org) im Auftrag des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (negz.org) wurde untersucht, inwiefern sich diese Lücke durch besonders gut lesbare Domänen-spezifische Sprachen (eng. Domain Specific Languages, DSLs) und die automatisierte Auswertung der mit der DSL formulierten Aussagen schließen lässt.

Eine DSL ist eine formale Sprache (im Gegensatz zur natürlichen Sprache), die für ein bestimmtes Problemfeld, die sogenannte Domäne, entworfen und entwickelt wird (se-rwth.de). Je nach Anwendungsdomäne können DSLs sehr nahe an natürlichen Sprachen, mehr mathematisch, oder auch näher an Programmiersprachen orientiert sein. Sie sind jedoch in jedem Fall präzise in ihrer syntaktischen Struktur, besitzen eine unzweideutige und daher unmissverständliche Bedeutung und nutzen eine klare Terminologie.

Insbesondere bei der Finanzverwaltung ist die die Prozess-Automatisierung und Digitalisierung relativ weit vorangeschritten, z.B. durch vollautomatische Verwaltungsakte im steuerlichen Veranlagungsverfahren (oeffentliche-it.de) sowie durch die digitale Erstellung und Abgabe von Steuererklärungen im Rahmen des Verfahrens „Elektronische Steuererklärung“ (ELSTER, elster.de). Daher eignet sich gerade das Rechtsgebiet des Steuerrechts für eine genauere Betrachtung.

ELSTER verwendet DSLs in der Praxis. Im Verfahren ELSTER werden bereits heute von der deutschen Finanzverwaltung detaillierte Fachmodelle des deutschen Steuerrechts erstellt, mit denen die Plausibilisierung der Daten einer Steuererklärung und die Berechnung der Steuer modellbasiert erfolgt. Die verwendete domänenspezifische Sprache ist dabei konkret auf die Plausibilisierung und Berechnung der Steuerdaten zugeschnitten und ist sowohl menschenlesbar als auch maschinell verarbeitbar. Die Körperschaftsteuer als eine der umfangreichsten Steuerarten enthält dabei über 2.500 Felder und über 2.800 Validierungs- und Berechnungsregeln.

Was sind nun mögliche Teile solch einer Steuer DSL? Wichtig sind hier Domänenspezifische Begriffe (z.B. Fristen mit temporalen Aspekten, Bescheide oder Rechnungen), in Text ausgedrückte Berechnungsvorschriften, logische Konstrukte wie z.B. Wenn-Dann-Beziehungen, Vorgänge im Sinne von Prozessen und Prozessschritten und Referenzen auf andere Komponenten oder Begriffe. Zudem gibt es Charakteristika hinsichtlich des Aufbaus von Gesetzestexten in Paragraphen, Absätzen, Nummern und Sätzen. Will man also die natürliche Sprache aus Steuergesetzen in formaler Sprache (Modellen) abbilden, so sind diese unterschiedlichen Teile darzustellen. Hierfür ist die Bildung interdisziplinärer Arbeitsgruppen zur Entwicklung von DSLs zur Abbildung von Gesetzestexten auf Basis einer ebenfalls zu erstellenden Terminologie im Sinne einer Begriffsbildung notwendig.

Unserer Ansicht nach ist es wichtig, möglichst frühzeitig anzusetzen und Modelle selbst bereits im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses zu erstellen und zu verwenden. So können diese ggf. gemeinsam mit einer aus Modellen generierten natürlichsprachlichen Fassung der Gesetze beschlossen werden. Werden DSLs und Berechnungsmodelle als Standards und Normen definiert, die sowohl in der zuständigen Behörde als auch in der unternehmensinternen Software direkt zur Ausführung kommen können, so führt dies zu einer effizienteren IT und besseren Zusammenarbeit der IT einzelner Verwaltungen und Unternehmen, da Gesetz und IT-Technische Umsetzung so immer automatisch konsistent sind. In diesem Zusammenhang sind jedoch zunächst auch verfassungsrechtliche Fragen zu klären, wie z.B. ob ein Gesetz abgebildet in Modellen einer DSL verabschiedet werden darf.

Welche Vorteile hätte die Nutzung von DSLs für die unterschiedlichen Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern? Wenn wir die Nutzung von DSLs im Zusammenhang mit den im Gutachten im Auftrag des Normenkontrollrats (normenkontrollrat.bund.de) skizzierten Schwächen im bisherigen Gesetzgebungsprozess betrachten, so ergeben sich Vorteile für den Gesetzgeber (Parteien und Parlamentarierinnen und Parlamentarier), die Ministerialbürokratie und Verwaltungsbehörden, von Gesetzen betroffene Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern als auch die Bürgerinnen und Bürger.

Vorteile für den Gesetzgeber: Der vorgestellte Ansatz führt zu einer Erhöhung der Handlungsfähigkeit in Krisensituationen, da die Umsetzung von Änderungen in Gesetzen rasch in IT-Systemen realisiert werden kann. Unterschiedliche Varianten bzw. Versionen von Gesetzesänderungen können einfacher verglichen werden. Man kann bereits bei der Willensbildung die Auswirkungen der Gesetzesänderungen z.B. mit statistischen Daten simulieren (de.wikipedia.org). So könnte man die Auswirkungen für bestimmte Zielgruppen z.B. für alleinerziehende Erwerbstätige oder KMUs bis zu einer bestimmten Grenze berechnen. Dies ermöglicht es der Politik, die Auswirkungen von Gesetzesänderungen besser abschätzen und Simulationen durchführen zu können. So wird ein systematischer Vergleich von Lösungsalternativen ermöglicht.

Vorteile für die Ministerialbürokratie und Verwaltungsbehörden: Die Digitaltauglichkeit von Gesetzen kann früher automatisiert analysiert werden. Diese Überprüfungen können vor der tatsächlichen Beschlussfassung erfolgen und bei weiterführenden Änderungen einfach immer wieder durchgeführt werden. Eine (Semi-)Automatisierte Rechtskonsistenzprüfung wird ermöglicht, da die Modelle mit anderen, bereits bestehenden Modellen von Gesetzestexten abgeglichen werden können. Zudem kann durch die Nutzung der Modelle und dafür entwickelte Analysetools die Auswirkungen von Gesetzen anhand der real erhobenen Werte analysiert und mit den geplanten Werten verglichen werden.

Vorteile für betroffene Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern: Im Gesetzgebungsprozess müssen kommunale Verbände eingebunden werden, wenn ein Gesetz Städte und Gemeinden betrifft. Wenn die definierten Modelle diesen Stellen zur Verfügung gestellt werden, um selbst die Auswirkungen analysieren zu können, ist so eine einfachere Einbindung und Interpretation der Auswirkungen möglich. Hierfür sind aber noch genauere Betrachtungen kommunaler Strukturen notwendig.

Vorteile für Bürgerinnen und Bürger: Wenn Gesetze in Form von Modellen verabschiedet werden, sind diese für alle frei verfügbar. Mit geeigneten Apps hätte jeder so die Möglichkeit, für sich selbst die Auswirkungen von Gesetzesänderungen zu simulieren. Auf diese Weise wird zum einen die Nachvollziehbarkeit von Gesetzesänderungen als auch die digitale Souveränität der Bürgerinnen und Bürger erhöht.

In der genannten NEGZ Studie sind noch weitere Details mit Anwendungsbeispielen aus dem Steuerrecht aufgeführt, ein analoges Vorgehen ist jedoch entsprechend auch für Gesetzestexte aus unterschiedlichen Domänen, z.B. Soziales, Umwelt oder Strafrecht, durchführbar. Konkrete Projekte, in denen praktisch einsetzbare Werkzeuge entstehen, sind aktuell jedoch noch ausständig.

Dieser Beitrag wurde von den Autorinnen und Autoren der genannten NEGZ Studie Dr. Judith Michael und Prof. Dr. Bernhard Rumpe (RWTH Aachen) sowie Janos Stand und Uli Weber (mgm technology partners gmbh) verfasst. Weiterer Partner der Studie war das Bayerische Landesamt für Steuern. Wenn Sie mit den Autorinnen und Autoren weiter diskutieren wollen, erreichen Sie sie unter gesetze_DSL@se-rwth.de

GI-MELDUNGEN

informatiCup gestartet: jetzt mitmachen! Ganz frisch haben wir die Aufgabe für unseren Teamwettbewerb informatiCup veröffentlicht. In diesem Jahr geht es darum, einen Produktionsprozess unter Einbeziehung aller Fragen bestmöglich zu simulieren. Bis zum 30. November kann man sich anmelden. Es gibt neben dem Spaß attraktive Preise zu gewinnen. weiterlesen

Sechs (neue) Köpfe gesucht: Präsidiumswahl 2022 gestartet. Seit Mitte Oktober läuft die Wahl zum GI-Präsidium. Bis zum 9. Dezember können ordentliche und korporative Mitglieder darüber entscheiden, wer ihre Positionen im GI-Präsidium vertreten kann und soll. Neun engagierte Mitglieder haben Lust, dies zu tun und stellen sich im besten Licht dar. Wir freuen uns auf eine hohe Wahlbeteiligung.  weiterlesen

GI spricht sich erneut gegen die Chatkontrolle aus. In einem mitgezeichneten offenen Brief warnt die GI vor den Gefahren der von der EU-Kommission geplanten Chatkontrolle. Eine umfassende Chatkontrolle würde laut der Unterzeichnenden das faktische Ende des elektronischen Brief- und Fernmeldegeheimnisses bedeuten.  weiterlesen

  

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FUNDSTÜCK

Zahlenknobelei für zwischendurch. Nicht ganz Informatik, oder vielleicht doch? Kann man durch schnelle Kombination (des Hirns), Mustererkennung oder ein Programm Zahlen so verbinden, dass eine Gleichung aufgeht? Zehn Gleichungen, zehn Ergebnisse: aber wie ist der Weg? Wer nicht nur lesen möchte, sondern auch ein bisschen nachdenken, hat hier etwas zum Spielen.   Zum Fundstück (spiegel.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 321 des GI-Radars vom 21.10.2022. Zusammengestellt wurde diese Ausgabe von Dominik Herrmann, der Studierende im ersten Semester ebenfalls gerne knobeln lässt, etwa mit einem informatischen Zaubertrick. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 4. November 2022.

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