GI-Radar 232: Softwarepatente

 

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

im Thema im Fokus geben wir einen Überblick über aktuelle Entwicklungen bei Softwarepatenten, ein kontroverses Thema, zu dem es in der GI äußerst unterschiedliche Meinungen gibt. In den Kurzmitteilungen geht es in zwei Beiträgen darum, dass wir in Europa mehr Eigenentwicklungen benötigen. Unser Fundstück erinnert an einen historischen Briefwechsel.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

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Datenkolonialismus + Vertrauenswürdige KI + Algorithmen gegen Hass-Meldungen + Sichere Soft- und Hardware aus Europa + Softwarepatente + Offener Brief zu Terrorbekämpfung + 50 Jahre GI + Infomaterial zur GI + Backus vs. Dijkstra

KURZMITTEILUNGEN

Kolonialismus und Daten: was hat das miteinander zu tun? (ZEIT, 6 min). Nick Couldry, Kommunikationswissenschaftler aus London, zieht Parallelen zwischen der Ausbeutung von Ländern und der Ausbeutung von Personen. Während im „ersten Kolonialismus“ Rohstoffe abgebaut und verwertet wurden, werden heute Daten erhoben und verarbeitet – was laut Couldry ebenfalls als eine Art von Kolonialismus anzusehen ist. Und so wie in der Vergangenheit der Kampf um Rohstoffe tobte, tobt nun der Kampf um Daten.  weiterlesen

Vertrauenswürdige KI: was Entwicklerinnen beachten und was Nutzer fordern sollten (FAZ, 6 min). Nur wenn KI-Entwicklungen vertrauenswürdig sind, dürfen sie sich auf Dauer durchsetzen und können zum Nutzen aller angewendet werden. Dazu sei es unter anderem nötig, auch genuin europäische Entwicklungen zu forcieren. Dieser Überzeugung ist Pekka Ala-Pietilä, Vorsitzender der von der Europäischen Kommission eingesetzten Expertengruppe für Künstliche Intelligenz.  weiterlesen

Automatisierung gegen Hass und Falschmeldung (Golem). Forscher des Fraunhofer-Institutes für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FKIE) haben einen Algorithmus entwickelt, der Hasskommentare und Falschmeldungen identifizieren und kategorisieren soll. Durch maschinelles Lernen wurde er so trainiert, dass er als Indiz typische Satzkonstruktionen und fehlerhafte Grammatik erkennen kann.  weiterlesen

Warum die Kontroverse um Huawei Europa guttun könnte (taz). Die USA und China liegen im Streit um Handel, Spionage und auch um die technologische Vorherrschaft. Die Debatte um unsichere Hard- und Software sollte das Augenmerk darauf richten, wie gut Europa eigene, unabhängige Technologieentwicklungen tun würden, kommentiert die taz.   weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Open-Source-Software vs. Patente für Software. Dieses Thema wird in der Informatik seit Jahren heftig diskutiert. Ein bekannter Open-Source-Verfechter und Patentgegner ist z.B. Richard Stallman (Free Software Foundation). Nach Auffassung der Patentgegner solle Software lediglich über das Urheberrecht bzw. durch verschiedene Open-Source-Lizenzen geschützt werden (ifross.github.io). Patente seien i.a. zu teuer, schwer handhabbar und würden die freie Entwicklung bremsen. Patentbefürworter halten dagegen, dass i.d.R. ein weiterer Schutz am Markt erlangt werden kann, da nicht der genaue Code, sondern vereinfacht gesagt der dem Code zugrunde liegende „Algorithmus“ (im Sinne der Informatik) geschützt wird. Die Patentinhaber würden dadurch davor geschützt, dass ihre patentgeschützten softwarebasierten Verfahren und Systeme unerlaubt nachgemacht würden – selbst dann, wenn die Patentverletzer dafür eine ganz andere Programmiersprache benutzten.

„Computerimplementierte Erfindungen“ (CII), wie der im Patentrecht gebräuchliche Begriff für Softwarepatente ist, werden für Deutschland vom DPMA und EPA erteilt. Ein stetiges Anwachsen von Patenten ist auch in softwarebezogenen Bereichen zu verzeichnen, auch wenn in Europa die Patentierbarkeit auf Lösungen im technischen Bereich beschränkt ist. Dabei ist die Interpretation von Technik je nach Interessengruppe verschieden, auch weil Informatik nicht in traditionelle Techniksichtweisen passt (Dissertation von Matti Tedre, 2006, Volltext verfügbar bei Google Books). So ist beispielsweise das maschinelle Auswerten von Sensordaten eines autonomen Fahrzeugs zur sicheren Fahrzeugführung eher patentierbar als z.B. die ästhetische Gestaltung einer Mensch-Computer-Schnittstelle. Das EPA und DPMA haben Studien erstellt und Konferenzen zur Entwicklung von Patentanmeldungen im Bereich neuer Technologien organisiert (z.B. zu Blockchain, selbstfahrenden Autos und Künstlicher Intelligenz, siehe EPA und DPMA). Grundsätzlich bestehende Patentierungserfordernisse für CII sind unverändert gültig.

„Global Player“ kombinieren zunehmend die Vorzüge beider Systeme. So verzeichnet das im Jahr 2005 in den Vereinigten Staaten gegründete OpenInventionNetwork (OIN, Homepage) ein rasantes Wachstum. Inzwischen sind dort neben IBM und Google z.B. auch Microsoft und SAP Mitglied, ebenso wie zahlreiche Firmen der Automobil-, Finanz- und Halbleiter-Branche. Der Vorteil ist vereinfacht gesagt: Mitglieder vergeben untereinander gebührenfreie Lizenzen für alle ihre Patente, die unter eine „Linux System“ Definition fallen. Daneben informieren „Linux Defender“ die Open-Source-Community über Mittel (z.B. Defensivpublikation), die gegen möglicherweise aggressiv vorgehende Wettbewerber einsetzbar sind. IBM ist in den USA 2018 wiederholt Spitzenreiter bei Patentanmeldungen (fortune.com), investiert jedoch seit Jahren in Open-Source-Software (2018: Kauf von Red Hat), ebenso zunehmend auch die Firma Microsoft, die nicht nur die Plattform Github gekauft hat, sondern auch 60.000 Patente in das OIN eingebracht hat (cyberciti.biz).

Dieser Beitrag wurde von Dipl.-Ing. Sabine Kruspig verfasst, die derzeit als Patentanwältin tätig ist. Zuvor war sie beim Europäischen Patentamt beschäftigt. In der GI ist Sabine Kruspig unter anderem in der FG Frauen und Informatik aktiv.

GI-MELDUNGEN

Terrorbekämpfung und Meinungsfreiheit: GI äußert sich zur geplanten EU-Verordnung. In der EU wird derzeit eine Verordnung diskutiert, wie terroristische Inhalte erkannt und gelöscht werden können und wie die entsprechende Strafverfolgung ansetzen muss. Die Verordnung soll Anbieter von Hosting-Diensten verpflichten, terroristische Inhalte zu entfernen und damit zusammenhängende Daten sechs Monate lang für Überprüfungsverfahren und Ermittlungszwecke aufzubewahren. Die GI weist darauf hin, dass entsprechende Taten verfolgt werden müssen, aber drohende Missbrauchsmöglichkeiten nicht unbeachtet bleiben dürfen.  weiterlesen

50 Jahre GI – Sie auch? Oder erst 30 oder 40? Wie auch immer: wir brauchen Ihre Hilfe. In diesem Jahr wird die GI 50 Jahre alt. Wir sind deshalb auf der Suche nach Geschichten aus der Vergangenheit, nach Anekdoten, besonderen Meilensteinen in den Hochschulen, der Informatik und der GI. Teilen Sie Ihre Erinnerungen mit uns. Wir möchten sie gerne dokumentieren und so die Geschichte der GI fortschreiben.  weiterlesen

Informationsmaterial zur GI. Wussten Sie, dass wir umfangreiches Informationsmaterial zur Verfügung stellen, wenn Sie mehr über die Arbeit der GI wissen möchten als Sie sowieso schon wissen – und wenn Sie uns vielleicht sogar in Ihrer Vorlesung oder in Ihrer Firma vorstellen möchten? Hier geht es zu unserer Materialseite.  weiterlesen

FUNDSTÜCK

This guy's arrogance takes your breath away. Wie sich die Zeiten geändert haben. Im Jahr 1979 trugen zwei Pioniere der Informatik, John W. Backus (u.a. beteiligt an der Entwicklung von Fortran und der Backus-Naur-Form) und Edsgar Dijkstra (u.a. Erfinder des „Shortest Path First“-Routing-Algorithmus), ihre Diskrepanzen in einer Serie von Briefen aus. Ein lesenswerter Schlagabtausch auf hohem Niveau!   Zum Beitrag (medium.com, engl., 31 min)

Dieses Fundstück hat uns GI-Junior-Fellow Matthias Weidlich vorgeschlagen. Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 232 des GI-Radars. Zusammengestellt wurde sie von Dominik Herrmann, der sich über jedwede Kritik am GI-Radar freut, allerdings ganz besonders, wenn sie im Stil der Briefe von Backus und Dijkstra vorgetragen wird. Die GI-Mitteilungen hat wie immer GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 22. Februar 2019.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) oder Facebook zukommen lassen.