GI-Radar 320: Vorratsdatenspeicherung

 

Liebe Leserinnen und Leser,

die Kurzmitteilungen befassen sich unter anderem mit dem nun verabschiedeten einheitlichen Standard für Ladekabel. Im Thema im Fokus geht es um einen Evergreen – die Vorratsdatenspeicherung. In den GI-Mitteilungen stellen wir Ihnen mehrere Preisträger und Ausgezeichnete vor. Das Fundstück beschäftigt sich mit der Frage, wie wir energiesparsam(er) programmieren könnten. Und weil wir auf das Ergebnis so stolz sind, erlauben wir uns, dieses Mal eine Meldung in eigener Sache nach vorne zu ziehen: 

Druckfrisches PDF: Unser Jahresbericht 2021-2022. Manche von Ihnen mögen vielleicht denken „Jahresbericht, wie langweilig!“ – ist er aber nicht, versprochen. Unser neues Redaktionsteam mit Alexandra Resch und Sven Lubenau stellt Ihnen in einer lebendigen und spannenden Zusammenschau vor, was in Ihrer GI alles passiert ist in den letzten 12 Monaten. Wir beleuchten in Interviews Projekte und Menschen, geben einen Einblick in einzelne Fachgliederungen, beobachten, was die Regierung bei der Digitalisierung treibt, schauen auf den Nachwuchs und die Informatik in der Schule und all das mit Ihnen: unseren Mitgliedern und Aktiven. Danke für Ihr Engagement, und vielleicht finden Sie je sich selbst oder bekannte Personen im Bericht!  PDF zum Download

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Einheitliche Ladekabel + KI-Kunst + Webseiten-Fälschungen + attraktive Unternehmen + Hacker in Aktion + Vorratsdatenspeicherung + Klaus-Tschira-Medaille + GI-Fellows + GI-Junior-Fellows + GI-Dissertationspreis + Helmut und Heide Balzert-Preis + Green Coding

KURZMITTEILUNGEN

Vereinheitlichung von Ladekabeln in Sicht (Spiegel). Das kennen wir sicherlich (fast) alle: unterwegs, Ladekabel vergessen, aber leider hat niemand ein passendes. Die EU will nun kompatible Ladekabel ab 2024 vorschreiben. Damit wird das Leben leichter und viel Elektroschrott vermieden – wenn man auch nach dem Austausch des Endgerätes das alte Kabel weiter nutzen kann. weiterlesen

Wem gehört Algorithmen-generierte Kunst? (ZEIT). Wenn ich meinem Rechner sage: „Mal mir ein Bild mit Sonnenblume, Weinflasche und Wellen“ und er „malt“ mir eins, das anschließend bei einer Auktion einen hohen Preis erzielt: wem gehört dann der Erlös? Hier stellt sich die Frage nach Besitz, Urheberrecht und Kreativität. Mit der Verbreitung von Software mit entsprechenden Kenntnissen und KI-generierter Kunst muss hier abgewogen und entschieden werden. weiterlesen

Wie Nachrichtenwebseiten gefälscht werden und wie man das erkennt (NZZ). Dass die digitalisierte Welt für die meisten nicht so einfach zu durchschauen ist wie die analoge, ist eine Binsenweisheit. Genau deshalb sind Medienkompetenz und der informierte Umgang mit Inhalten aus dem Web so wichtig. Im Rahmen einer großen Desinformationskampagne haben nun Unbekannte die Webseiten renommierter und/oder großer Zeitungen nachgebaut und so Falschnachrichten verbreitet. Meist einziger Unterschied: drei Buchstaben in der Adresszeile.  weiterlesen

Wo arbeiten IT-Fachkräfte in Deutschland am liebsten? (Golem). Eine Studie hat untersucht, welche Arbeitgeber in Deutschland besonders attraktiv für IT-Fachkräfte sind. Reine IT-Unternehmen stehen dabei nicht an erster Stelle. Und was weiterhin auffällt: es finden sich auch einige Unternehmen aus dem Mittelstand in den Top-Positionen. weiterlesen

Sicher ist relativ: CCC-Hacker entschlüsselt sicheren Speicher (Heise). Mit der Kombination aus Router, Konnektor, virtueller Maschine und SmartCard hat ein Hacker des CCC die sogenannte Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen analysiert. Sein Experiment beschreibt er im Detail öffentlich.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Die Vorratsdatenspeicherung geht, „Quick Freeze“ kommt. Am 20. September entschied der EuGH, dass die deutsche Gesetzgebung zur Vorratsdatenspeicherung nicht mit dem Europäischen Recht vereinbar ist (europa.eu). Auch wenn das Urteil des höchsten europäischen Gerichts unter zahlreichen Politikerinnen und Politikern sowie Verfassungs- und Bürgerrechtlerinnen und -rechtlern wohlwollend aufgenommen wurde, so sind die Entscheidung an sich und ihr politischer Hintergrund nicht wirklich überraschend. So setzt das Gericht mit dem Urteil seine bislang schon bestehende Rechtsprechungslinie fort, dass eine Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten nicht per se unzulässig, aber an enge grundrechtliche Voraussetzungen zu knüpfen ist. Damit kann das Urteil politisch auch als ein Ergebnis der bereits seit Jahren in den EU-Mitgliedstaaten geführten Diskussion gesehen werden, wodurch das Ermittlungsinstrument der Vorratsdatenspeicherung immer wieder auf dem gesetzgeberischen Tapet – und damit auch bei den Gerichten gelandet ist.

Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wenn sich der EuGH rechtlich noch klarer im Sinne der informationellen Grundrechte geäußert und eine Vorratsdatenspeicherung untersagt hätte. Nun jedoch muss rechtlich mit dem gearbeitet werden, was entschieden wurde. Für die Bundesregierung bedeutet dies, dass die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor nicht vom Tisch ist. Dies wird auch anhand der neuerlichen politischen Querelen in Berlin deutlich, die das Urteil nur kurze Zeit später in der Ampel-Koalition ausgelöst hat (handelsblatt.com). Insbesondere Bundesinnenministerin Faeser steht auf dem Standpunkt, dass eine Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität nach wie vor zwingend notwendig ist (deutschlandfunk.de). Die auch vom EuGH erneut bestätigten und bereits bekannten Bereichsausnahmen wie der Schutz nationaler Sicherheitsinteressen, der Bekämpfung (schwerer) Kriminalität sowie der Gefahrenabwehr lässt den Mitgliedstaaten nach wie vor viele rechtliche Handlungsspielräume zur Umsetzung einer Ersatzregelung.

Das so genannte „Quick Freeze“-Verfahren wird dabei zurzeit als Favorit gehandelt, lag aber schon lange vor dem EuGH-Urteil in den Schubladen der deutschen Regierungsparteien (bmj.de). Bei „Quick Freeze“ werden die bei der Telekommunikation anfallenden Verkehrsdaten von den Providern weiter gespeichert, aber regelmäßig gelöscht, und Sicherheitsbehörden können diese dann kurzfristig nach Bedarf und für die Zukunft „einfrieren“ lassen. Was zunächst gut klingen mag, auch weil es weniger grundrechtsbelastend ist, muss dennoch rechtlich kritisch gesehen werden. So muss jeder Eingriff in verfassungsrechtliche Positionen in einem Rechtsstaat verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Das bedeutet, dass die staatliche Maßnahme einen legitimen Zweck verfolgen, dazu geeignet und erforderlich sowie angemessen sein muss. Die Verfolgung von (Internet)straftäterinnen und Straftätern ist zweifellos solch ein legitimer Zweck, aber die anderen Faktoren sind mehr als fraglich. Insbesondere im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muss die Frage gestellt werden, ob das erstrebte Ziel und die damit verbundenen Kosten – also intensive Eingriffe in die digitale Privatsphäre – in einem angemessenen Verhältnis zueinanderstehen. Denn Fakt ist: Wir leben mittlerweile und mehr denn je in einer digitalen und vernetzten Gesellschaft, in der täglich Abermillionen Verkehrs- und Verbindungsdaten anfallen, die weitreichende Schlüsse auf Einzelpersonen und ihr Privatleben zulassen. Demgegenüber verfügen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden schon jetzt auch jenseits der Vorratsdatenspeicherung über ein breites Repertoire repressiver Maßnahmen, mit denen Bürgerinnen und Bürger teils auch heimlich ausgespäht werden können. Warum nun ausgerechnet noch ein weiteres Instrument der Datenspeicherung – und sei es auch nur ein „Quick Freeze“ – benötigt wird, erschließt sich vor diesem Hintergrund nicht.

Der Europaabgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piraten) hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Aufklärungsquote bei Internetdelikten laut amtlicher Kriminalstatistik auch ohne die Vorratsdatenspeicherung oder inhaltlich vergleichbare Ermittlungsinstrumente schon jetzt überdurchschnittlich hoch ist. Bei der Bekämpfung kinderpornografischer Darstellungen – eines der erklärten politischen Ziele der Vorratsdatenspeicherung – soll sie sogar bei 90% liegen. Auch das Max-Planck-Institut hat vor einigen Jahren in einem viel beachteten öffentlichen Gutachten bezweifelt, dass die Vorratsdatenspeicherung ein geeignetes Mittel darstellt, um den grundrechtlichen Eingriff durch anlasslose Massenüberwachung zu rechtfertigen. Nicht zuletzt können sich überdies auch Internetstraftäterinnen und -straftäter an Anonymisierungstechniken zur erfolgreichen Verschleierung ihrer Identität bedienen.

Im Ergebnis ist es deshalb mehr als bedauerlich, dass als Resultat einer Jahrzehnte währenden Debatte und unzähliger wissenschaftlicher Ausarbeitungen und umfassender gerichtlicher Befassung nur ein weiterer politischer Vorstoß zu einer „kleinen Vorratsdatenspeicherung“ in der Form des „Quick Freeze“ herausgekommen sein soll. Viel sinnvoller im Sinne der europäischen und nationalen digitalen Bürgerrechte wäre es gewesen, das Urteil des EuGH zum Anlass zu nehmen, eine Neubewertung der gesamtstaatlichen Überwachungsarchitektur in Deutschland vorzunehmen, denn die Vorratsdatenspeicherung ist bei Weitem nicht das einzige Gesetz, das Fragen zur Verfassungsmäßigkeit im Umgang mit dem Schutz der Vertraulichkeit von IT-Systemen aufwirft.

Diesen Beitrag hat Prof. Dr. Dennis-Kenji Kipker geschrieben, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen und Mitglied des Vorstands der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID), Berlin. Vielen Dank!

GI-MELDUNGEN

Klaus-Tschira-Medaille für Barbara Schwarze. Für besondere Verdienste um Informatik in der Gesellschaft haben die GI und die Klaus Tschira Stiftung Barbara Schwarze mit der Klaus-Tschira-Medaille ausgezeichnet. Frau Schwarze hat sich insbesondere um die Sichtbarkeit und Teilhabe von Frauen in der Informatik verdient gemacht. weiterlesen

Drei GI-Fellows ausgezeichnet. Auf der INFORMATIK 2022 haben wir drei herausragende Persönlichkeiten als GI-Fellows ausgezeichnet, die sich in der GI oder in der Informatik allgemein große Verdienste erworben haben. Wir gratulieren Ursula Köhler, Gerhard Röhner und Stefan Wrobel.  weiterlesen

Vier GI-Junior-Fellows gekürt. Vier ganz unterschiedliche junge Leute sind im Jahr 2022 GI-Junior-Fellow geworden. Sie haben sich innerhalb der Informatik mit so unterschiedlichen Dingen wie KI, Psychologie, Wettbewerben und Green IT beschäftigt. Herzlichen Glückwunsch!  weiterlesen

GI-Dissertationspreis(e) 2021 verliehen. Ausgeschrieben war der Dissertationspreis 2021. Aber da die Einreichungen so überragend waren, hat die Jury drei ganz unterschiedliche Dissertationen gekürt: aus der praktischen, der theoretischen und der angewandten Informatik. Bei der Kurzvorstellung gab es höchst spannenden Arbeiten zu entdecken.  weiterlesen

Helmut und Heide Balzert-Preis für Digitale Didaktik erstmals verliehen. Ganz neu in der Riege unserer Preise ist der vom Ehepaar Balzert gestiftetete Preis für Digitale Didaktik. Erster Preisträger ist Stefan Seegerer, der in seiner Arbeit innovative Konzepte für die Vermittlung der Informatik unter anderem in der Erwachsenenbildung entwickelt und frei zur Verfügung gestellt hat.  weiterlesen

Genug der Worte – Bilder! So, jetzt haben Sie ganz viel gelesen. Damit Sie – sofern Sie nicht selbst in Hamburg auf der INFORMATIK 2022 waren – einen Eindruck bekommen, haben wir Ihnen einen kleinen Zusammenschnitt vorbereitet. Sie finden den Vorstand in Aktion, können virtuelle Workshopluft schnuppern, Hauptvortragende bewundern, an Preisverleihungen partizipieren und die Stimmung genießen. Wir hatten jedenfalls viel Spaß und Austausch und freuen uns schon auf die INFORMATIK 2023 in Berlin.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Programmieren kostet (viel) Energie – muss das sein? Green Coding erklärt im Podcast. Dass der Betrieb eines Rechners Energie kostet, dürfte allen klar sein. Doch dass auch das Programmieren an sich Ressourcen benötigt und man durch ein anderes Arbeiten den Energieverbrauch beeinflussen kann: hätten Sie das gewusst? Volker Wohlgemuth von der HTW Berlin erklärt das Prinzip „Green Coding“.  Zum Fundstück (deutschlandfunk.de)

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Dies war Ausgabe 320 des GI-Radars vom 07.10.2022. Zusammengestellt wurde diese Ausgabe von Dominik Herrmann, der Ihnen versichert, dass wir beim GI-Radar keine Daten von Ihnen auf Vorrat speichern. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 21. Oktober 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.