GI-Radar 313: Plagiat und akademische Integrität

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen geht es dieses Mal unter anderem um das Thema Mediensucht. Suchtpotenzial geht beispielsweise von Spielekonsolen aus – was eingefleischte Fans von Nintendo Switch, Playstation und Co bestätigen werden. Die erste Spielekonsole wurde tatsächlich schon vor 50 Jahren entwickelt (Fundstück)! Das Thema im Fokus beschäftigt sich in dieser Ausgabe mit Verstößen gegen die akademische Integrität. Dass diese mitunter verletzt wird, überrascht nicht, wenn man sich die prekären Arbeitsverhältnisse für den wissenschaftlichen Nachwuchs anschaut (GI-Meldungen).

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Maschinelles Lernen + Mediensucht + Chipbranche in Not + Gesundheitsdaten + ÖPNV + akademische Integrität + wissenschaftlicher Nachwuchs + Auszeichnung für Softwarequalität + Djamshid Tavangarinan verstorben + die erste Spielekonsole wird 50

KURZMITTEILUNGEN

Maschinelles Lernen, KI und deren Einsatz: ein Spagat zwischen Macht und Ethik (ZEIT). KI-Systeme sind nützlich – manchmal. Tatsächlich aber gibt es nach Ansicht der KI-Forscherin Kate Crawford Szenarien, in denen die entsprechenden Systeme Menschen unzulässig diskriminieren und wo eher darauf verzichtet werden sollte. Hintergrund: KI-Systeme werden von Menschen nach menschlichen Maßstäben gebaut und bewerten entsprechend. Bei Daten beispielsweise zum Thema Klimawandel ist das nützlich. In der Strafjustiz jedoch sieht sie eher Probleme.  weiterlesen

Leben in der virtuellen Welt: vom Abrutschen in die Mediensucht (SZ). Seit diesem Jahr ist Mediensucht offiziell als Krankheit anerkannt. Was lange als Spleen angesehen wurde, hat sich für eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen zum Problem entwickelt: Computerspiele und das Leben in einer virtuellen statt der realen Welt. Wenn das reale Leben leidet, sich immer mehr ins Netz verlagert und der Alltag scheitert, spricht man von Mediensucht. Beratungsstellen haben ein offenes Ohr.  weiterlesen

Deutsche Chipbranche beklagt schleppende Umsetzung des Chips Act (Handelsblatt): Europa und Deutschland möchten und müssen bei der Chipproduktion unabhängiger werden. Dazu soll sie in Europa durch den sogenannten „Chips Act“ massiv gefördert werden. Kleinere Unternehmen monieren jedoch mangelnde Unterstützung. weiterlesen

Gesundheitsdaten für die Allgemeinheit – ein Interview (NZZ). Gesundheitsdaten sind wertvoll. Für medizinische Fachleute, für einen selbst natürlich, aber in hohem Maße auch für Forschung und Unternehmen. Nun ist aber strittig, wem sie gehören, was damit geschehen soll und ob damit Geld verdient werden darf. Zur Frage, wie sie der Allgemeinheit nützen und wo Grenzen im Sinne des Allgemeinwohls für die Wirtschaft gezogen werden sollten.  weiterlesen

Vom 9-Euro-Ticket zur Mobilitäts-App (Golem). Selten war der ÖPNV so in den Schlagzeilen wie seit dem Start des 9-Euro-Tickets. Wo die einen von vollen Zügen genervt sind, freuen sich die anderen über günstige Fahrtmöglichkeiten und eine einfache Handhabe. Nun wird diskutiert, ob eine Verkehrsverbund-übergreifende Mobilitäts-App das Reisen dauerhaft erleichtern könnte.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Was ist der Doktor noch Wert? fragt Anna-Lena Scholz in DIE ZEIT vom 25. Mai 2022, Nr. 22, S. 33-34 (zeit.de, Bezahlschranke). Angefangen bei aktuellen Plagiatsdiskussionen über Dissertationen und Sachbücher von Politiker:innen und Wissenschaftler:innen fragt sie, warum sich nicht ebenso viele Leute darüber aufregen wie damals, als 2011 die Bundesrepublik über Guttenbergs Plagiate bebte. Sie stellt fest, dass Promovieren sich noch lohnt, auch wenn man keine Professur erlangt, und beschreibt die Gründe, warum der Entzug eines Doktorgrades so schmerzt.

Wie findet man eigentlich Plagiate? Der Journalist Jochen Zenthöfer hat ein Buch im lockeren Plauderton über die Arbeitsweise von VroniPlag Wiki geschrieben, „Plagiate in der Wissenschaft" (Verlagsseite: transcript-verlag.de, Leseprobe online in Der Freitag vom 8.6.2022 freitag.de). Was macht man aber im Universitäts-Alltag, wenn man sehr viele Hausarbeiten und Hausaufgaben zu korrigieren hat? Es gibt Dutzende von Software-Systemen, die vorgeben, Plagiate zu finden. Kann man diesen Systemen vertrauen? Finden sie alle Plagiate? Die Autorin dieser Zeilen testet solche Systeme seit 2004 (htw-berlin.de), zuletzt 2020 im International Journal of Educational Technology in Higher Education veröffentlicht (springer.com): „The sobering results show that although some systems can indeed help identify some plagiarized content, they clearly do not find all plagiarism and at times also identify non-plagiarized material as problematic.“

In der Informatik ist es eher ein Problem, dass Studierende die Lösungen austauschen und als eigenes Werk einreichen. Das nennt sich Kollusion, unerlaubte Zusammenarbeit. Hier ist die Detektion mit Software-Werkzeugen etwas einfacher, weil es eine relativ kleine, endliche Anzahl von Dateien gibt. Ein Open-Source-System wurde am Karlsruher Institut für Technologie entwickelt, JPlag. Es gibt eine Publikation aus 2002 über die verwendeten Algorithmen (kit.edu), der Quellcode und eine lauffähige Version sind auf GitHub zu finden (github.com). Dateien in C++, C#, Java, Python oder Scheme werden auf semantischer Ebene verglichen, Textdateien auf syntaktischer Ebene. Es findet aber kein Vergleich mit dem Internet statt, lediglich die Dateien werden miteinander verglichen.

Wie ist es dann mit Bildern, kann man übereinstimmende Bilder oder Teile von Bildern finden? Klar, es gibt zunächst Google Image Search (google.com) und TinEye (tineye.com). Nature hat in 2020 einen Artikel (nature.com) über Elisabeth Bik publiziert, die nur mit scharfem Hinsehen und einigen Software-Werkzeugen arbeiten. Bik hat auf der „European Conference on Academic Integrity and Plagiarism 2022" (academicintegrity.eu) in Porto eine Keynote gehalten und einige ihre Werkzeuge vorgestellt: Forensically (29a.ch), ImageTwin (imagetwin.ai), Proofig (proofig.com), und FigCheck (figcheck.com) (die meisten werden kommerziell angeboten).

„Homework Help“ hört sich eigentlich sehr gut an, oder? Thomas Lancaster (thomaslancaster.co) und Codrin Cotarlan haben 2021 untersucht, wie Studierende in der Pandemie sich unerlaubt „Hilfe“ von einer Firma geholt haben (biomedcentral.com). Es stellte sich heraus, dass Studierende für nur $15 Monatsbeitrag nicht nur Lösungen für Lehrbuch-Aufgaben einsehen, sondern auch eigene Fragen stellen können. Mit einem Smartphone ist schnell ein Foto der Aufgabe geknipst und hochgeladen, nach ca. 10 Minuten liegt schon eine Antwort vor – während einer Online-Klausur ziemlich praktisch… In den USA, Kanada, Australien und den UK wird auf Tagungen, die z.B. vom International Center for Academic Integrity organisiert werden, heiß diskutiert, wie man dagegen vorgehen kann. Es gibt viele Veröffentlichung dazu (eliterate.us). Jedes Jahr wird ein Aktionstag von vielen Hochschulen organisiert gegen dieses sogenannte „Contract Cheating“ (academicintegrity.org, contractcheating.org). In Großbritannien berichten auch Medien wie The Guardian darüber (theguardian.com).

Vermeiden statt Detektivarbeit? In der Tat wäre es besser, Studierende könnten lernen, was akademische Integrität ist und gar nicht erst in Versuchung kommen, zu schummeln. Eine Möglichkeit ist die Überarbeitung der Art und Weise, wie wir Klausuren und Hausaufgaben stellen, besonders für Online-Kurse. Die University of Ottowa bietet eine kostenlose E-Learning-Einheit auf Englisch an: „Rethinking Assessment Strategies for Online Learning“ (pressbooks.pub). Sehr viele Universitäten im Anglo-Amerikanischen Raum haben sogar dedizierte Abteilungen, die sowohl ausbilden als auch definierte Prozesse durchführen, wenn festgestellt wird, dass Studierende plagiiert oder unerlaubte Hilfsmittel verwendet haben. Eine der größten ist an der University of California, San Diego (ucsd.edu). Tricia Bertram Gallant leitet diese Abteilung, sie hat sehr viel zum Thema publiziert und stellte auch drei Videos, „Going Remote with Integrity“ am Anfang der Pandemie bereit (Video 1: youtube.com, Video 2: youtube.com, Video 3: youtube.com). Wir müssen in Deutschland, Österreich und der Schweiz viel aktiver werden bei der Prävention! Es reicht nicht, Software zu kaufen und ein paar Seminare anzubieten.

Akademische Integrität hat noch viele weitere Facetten, für dieses Thema im Fokus muss das aber erst einmal reichen. Haben Sie in Ihrem Umfeld Plagiate, Kollusion oder Contract Cheating erlebt? Prüfen Sie eingereichte Arbeiten und Publikationen gar nicht oder routinemäßig (nur) mit Software? Welche Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen nutzen Sie und wie effektiv sind diese? Wir sind gespannt auf Ihre Rückmeldungen.

Das Thema im Fokus hat dieses Mal GI-Fellow Debora Weber-Wulff geschrieben. Sie lehrt an die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und ist Mitglied in der Fachgruppe Informatik und Ethik. Sie publiziert über das Thema Plagiate seit 2001 und arbeitet seit 2011 bei den Plagiatsdokumentationen im VroniPlag Wiki mit.

GI-MELDUNGEN

Wissenschaftlicher Nachwuchs in Deutschland: prekäre Arbeitsverhältnisse und wenig Licht am Horizont. Der GI-Beirat für den wissenschaftlichen Nachwuchs hat eine Studie mit knapp 400 Nachwuchskräften gemacht. Das Ergebnis ist ernüchternd für die Ausbildung und die Aussichten des Informatiknachwuchses in der Wissenschaft. Zur Arbeitsbelastung kommt häufig durch Stellenbefristungen in der Wissenschaft eine unsichere Zukunftsperspektive hinzu. Hier droht große Konkurrenz aus der Wirtschaft. weiterlesen

Preis für Softwarequalität an GI-Fellow Spillner verliehen. GI-Fellow Andreas Spillner hat gemeinsam mit Tilo Linz den Preis für Softwarequalität gewonnen. Der Preis wird von der GI-Fachgruppe TAV gemeinsam mit dem ASQF und dem German Testing Board verliehen. Wir gratulieren den beiden! weiterlesen

GI-Fellow Djamshid Tavangarian verstorben. Im Alter von 77 Jahren ist Prof. Dr. Djamshid Tavangarian verstorben. Er war Professor an der Universität Rostock, wurde 2010 zum Fellow der GI ernannt und hat in diesem Kreis wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der GI gegegeben. Unser Mitgefühl gilt seiner Familie.  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Diese Woche hat Heise über unsere Studie zur Situation des wissenschaftlichen Mittelbaus berichtet. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Plopp – Plopp – Ponggggg ... die erste Spielekonsole wird 50. Sicherlich können sich einige von Ihnen noch an Tennis als Videospiel im Fernseher erinnern, das in den 70er Jahren aufkam. Die Entwicklung jedoch begann bereits 1966, und 1972 kam die erste Spielekonsole auf den Markt. Da sie allerdings ein externes Gerät und vergleichsweise teuer war, war sie erst einmal kein großer Erfolg. Erst als das Videospiel fest in die Fernseher eingebaut wurde, wurde es zum Erfolg. Plopp – Plopp – Pong. 50 Jahre Spielekonsole: heute herrlich altmodisch und aus der Zeit gefallen.  Zum Fundstück (heise.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 313 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der noch auf das Jahr wartet, in dem er sich einmal gar nicht mit Kollusionen und Plagiaten beschäftigen muss. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 1. Juli 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.