GI-Radar 319: Stoppt das Insektensterben mit KI

 

Liebe Leserinnen und Leser,

im Thema im Fokus geht es dieses Mal um das Insektensterben und was wir dagegen tun können. Gegen die Vorratsdatenspeicherung geklagt hatten mehrere Provider – und gewonnen, wie Sie in den Kurzmitteilungen nachlesen können. In den GI-Meldungen berichten wir vom Finale des Bundeswettbewerbs Informatik. Das Thema im Fokus passt zum heutigen Wochentag.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Vorratsdatenspeicherung + Pflichtfach Informatik + viele Menschen offline + KI in der Wirtschaft + smarte Züge + digitaler Euro + Insektensterben und KI + INFORMATIK 2022 + Informatik-Monitor zu Informatik in der Schule + Informatik Spektrum + 40 Jahre BWINF + Thank God It's Friday

KURZMITTEILUNGEN

Deutsches Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist verfassungswidrig (Spiegel). Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die deutsche Regelung zur verdachtsunabhängigen Speicherung von Kommunikationsdaten als rechtswidrig eingestuft. Geklagt hatten mehrere Provider. weiterlesen

Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK) fordert (unter anderem) Pflichtfach Informatik (SZ). In einem Gutachten listet die SWK Versäumnisse bei der digitalen Bildung von Kindern und Jugendlichen auf und macht Vorschläge, wie diese vom Kindergarten an in Zukunft organisiert werden sollte. Neben einem Pflichtfach Informatik schlägt die Kommission die Einrichtung länderübergreifender „Zentren für digitale Bildung“ vor. Allein: es fehlen die Lehrkräfte. weiterlesen

Ein Drittel der Weltbevölkerung weiterhin offline (ZEIT). Laut der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) gibt es noch immer rund 2,7 Milliarden Menschen ohne Zugang zum Internet. Seit der Pandemie sei die Zahl derer ohne Netzanschluss zwar um 0,7 Milliarden gesunken, dennoch betrage der Offline-Anteil der Weltbevölkerung noch immer ein Drittel.  weiterlesen

Deutschland demnächst „Bummelletzer“ beim Einsatz von KI in der Wirtschaft? (Wirtschaftswoche). Einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) und des BITKOM zufolge setzt nur ein Bruchteil der deutschen Unternehmen KI-Anwendungen in ihren Prozessen ein. Große Unterschiede gibt es zwischen Großunternehmen und KMUs. Doch die noch von der alten Bundesregierung zur Verfügung gestellten fünf Milliarden Euro zum Ausbau der KI in der Wirtschaften werden kaum abgerufen.  weiterlesen

Smarte Züge sollen die Bahn leiser und effizienter machen (Heise). Derzeit entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine Technik, anhand derer der Antrieb der Züge leiser und effizienter werden soll. Durch das Steuern der mit Sensoren versehenen einzelnen Räder soll zudem die Kontrolle der Strecke möglich werden.  weiterlesen

Europäische Zenralbank (EZB) testet digitalen Euro (Golem). Gemeinsam mit fünf Unternehmen test die EZB den Einsatz elektronischen Geldes. Eingebunden sind hierbei Banken und Händler, mit denen in einer zweijährigen Testphase verschiedene Bezahlvorgänge und Szenarien erprobt werden sollen. weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Bits & Bees: Stoppt das Insektensterben mit KI! Die Insekten sind leise verschwunden, sie hat auch niemand vermisst: Die Frontscheibe des Urlaubsautos blieb sauber, die Mückenstiche wurden weniger, alles kein Grund zur Klage, im Gegenteil. Die ersten, die überhaupt darauf aufmerksam geworden sind, dass irgend etwas mit den Insekten in der Welt passiert, waren die Imkerinnen und Imker. Honigbienen in der Imkerei sind unter kontinuierlicher menschlicher Betreuung und Beobachtung. Wenn sie sterben, geht es um Geld; einerseits durch geringere Erträge an Bienenprodukten, wie Honig, Wachs und dem im Kosmetikbereich so begehrten Propolis, und andererseits durch die Zusatzkosten mit dem Neukauf von Bienenvölkern. Natürlich blutet auch das Herz, wenn die sorgsam gepflegten Schützlinge den Winter nicht überstehen. 

Einige Jahre nach der Entdeckung des Bienensterbens stellte sich heraus, dass dieser besorgniserregende Prozess nicht allein die Honigbiene betrifft: 27 Jahre lang haben ehrenamtliche Entomologinnen und Entomologen aus Krefeld Fallen für Insekten aufgestellt, um sie zu wiegen. Sie stellten fest: Die Insekten sterben massenhaft. Diese Langzeitmessung ist bei allen methodischen Mängeln nach wie vor die beste Datengrundlage für das Phänomen. Ja, es wurden nur fliegende Insekten beobachtet – und nein, sie wurden nicht klassifiziert und nach Arten unterschieden. Aber diese ehrenamtlich Tätigen hatten das Durchhaltevermögen, um über mehrere Jahrzehnte systematisch zu beobachten, zu wiegen und zu dokumentieren – kurz Daten zu sammeln, um einen Sachverhalt zu studieren und in die öffentliche Debatte einzubringen (bmuv.de). 

Es gibt mehrere prinzipielle Verzerrungen, wenn es um Daten geht, darunter die schlichte Erkenntnis, dass wir nur messen können, was messbar ist. Das ist von Instrumenten und Werkzeugen abhängig. Außerdem werden wir nur messen, was wir messen wollen. Daten werden zu einem bestimmten Zweck erhoben, und je mehr Aufwand in die Datenerhebung gesteckt wird, desto eher erwartet man eine Dividende: Daten als Zahlungsmittel. Insekten klicken einfach nicht auf Werbung, daher sind sie für die KI-Industrie auch nicht interessant, dabei könnten Machine-Learning-Verfahren und andere Methoden der Informatik eine Unterstützung im Kampf gegen das Insektensterben darstellen.

Welche Kraft informatische Untersuchungsmethoden im Umweltschutz entfalten können, zeigt sich in zivilgesellschaftlichen Projekten. Imkerinnen und Imker mit dem wahrscheinlich direktesten Draht zu Insekten nutzen die Honigbiene als Indikator, um die Gründe für das Insektensterben zu verstehen. Im Bee Observer e.V. werden „smarte“, also mit Sensorik ausgestattete, Bienenstöcke über ganz Deutschland verteilt (hiverize.org; hiveeyes.org). Sie vermitteln ein Bild vom Gesundheits- und Entwicklungszustand der Bewohnerinnen. Die eingebaute Technik – Gewichts-, Temperatur- und Luftfeuchtigkeitsmessung und ein Einplatinencomputer – ist bewusst einfach gehalten, der Bausatz ist erschwinglich und verfügbar, Anleitungen sind vorhanden. Alle Imkerinnen und Imker sollen diesen DIY-Bausatz selbst einkaufen und einbauen können. Auf Wunsch kann der Bienenstock aufgerüstet werden, optional sind Akustikmessung, Kameras am Flugloch und Gassensoren ergänzbar. Auf der „Bits & Bäume 2022“, der Hauptkonferenz der gleichnamigen zivilgesellschaftlichen Bewegung, ist er von 30.9.–2.10.2022 in Berlin ausgestellt (bits-und-baeume.org).

Die smarte Fusion der einzelnen Sensorkanäle ermöglicht einen detaillierten Einblick in das Leben der Honigbienen. Und darin spiegeln sich die Lebensbedingungen, denen sie in ihrem Flugradius – etwa 5 km um ihren Bienenstock herum – ausgesetzt sind. Diese Bedingungen betreffen auch alle anderen Insekten. Besonders interessant ist dann auch die weitere Fusion der Daten vieler in Deutschland verteilter Bienenstöcke mit anderen Datenquellen – Wetter, Standortbedingungen, Pestizidmessungen, Blüte von Pflanzen. Durch die Zufallsentdeckungen der Imkerinnen und Imker vor etwa 15 Jahren, dass vermehrt Bienenvölker den Winter nicht überstehen, wird so ein verteiltes Messinstrument geschaffen, bei dem Bürgerinnen und Bürger mit einem DIY-Sensorkit und Methoden des Machine Learnings systematisch die Entwicklung des Insektensterbens untersuchen und gezielte Gegenmaßnahmen entwickeln können (s. auch cognitive-neuroinformatics.com).  

Derartige Civic-Tech-Ansätze könnten in offenen Orten mit staatlicher Förderung entwickelt und im Anschluss von der aktiven Zivilgesellschaft breit eingesetzt werden. Die anfallenden Daten werden offen und frei zur Nachnutzung zur Verfügung gestellt, für ernstere Monitoringprojekte bis hin zu vergnüglichen Geländespielen, wo man eben keine fiktiven Monster einsammelt, sondern seltene Insektenarten fotografiert. Und wer weiß, vielleicht entstehen auch neue Emojis für die knapp 600 Wildbienenarten in Deutschland.

Die Zivilgesellschaft in Deutschland ist sehr aktiv, da können sich staatliche Institutionen durchaus ein oder mehrere Scheiben abschneiden. Das obige Beispiel mit den 27 Jahren Grundlagenarbeit zeigt, dass es Projekte gibt, die längere Laufzeiten als eine typische Förderperiode besitzen. Diesen Menschen und Organisationen auf Augenhöhe und mit Respekt zu begegnen, ist die erste Voraussetzung für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Dabei könnten auch neue Wege aufgezeigt werden, die die Technikentwicklung in Deutschland im Bereich der so genannten „Künstlichen Intelligenz“ gehen könnten. Wenn Daten und Machine Learning nicht zur Profilbildung zu Werbezwecken eingesetzt werden oder zur Tötung von Menschen, sondern zur Erhaltung der Vielfalt des Lebens, gemeinwohlorientiert, verständlich und grün – dann hat die sich im Aufbau befindende KI-Ideenwerkstatt für den Umweltschutz hoffentlich ihren Anteil dazu beigetragen. Kommen Sie gern vorbei, die Eröffnungsveranstaltung ist am 9.11.2022 in Berlin-Neukölln!

Diesen Beitrag haben Thorsten Kluß (Uni Bremen) und Stefan Ullrich (TU Berlin) erstellt. Vielen Dank! Transparenzhinweis: Die beiden Autoren arbeiten in der KI-Ideenwerkstatt für den Umweltschutz im Auftrag des Bundesumweltministeriums für die ZUG gGmbH und sind bei den Bits & Bäumen aktiv. Der Text gibt die private Auffassung der Autoren wieder.

GI-MELDUNGEN

INFORMATIK 2022 in Hamburg: schon angemeldet? In drei Tagen geht sie los, unsere erste Jahrestagung in Präsenz seit einer gefühlten Ewigkeit. Wir freuen uns auf viele Begegnungen, spannende Vorträge, interessante Workshops und vor allem: auf Sie! Informationen und Anmeldung hinter dem Link.  weiterlesen

Fachgruppe Frauen und Informatik schreibt Preise für herausragende Abschlussarbeiten aus. Die Fachgruppe Frauen und Informatik zeichnet herausragende Abschlussarbeiten von Absolventinnen der Informatik oder eines Studiengangs mit Schwerpunkt Informatik aus. Prämiert werden Hochschul-Abschlussarbeiten, die ein innovatives, gesellschaftlich relevantes Thema aus der Informatik oder neue Einsatzmethoden der Informatik in einem Anwendungskontext behandeln. Einsendeschluss ist der 15.11.2022.  weiterlesen

GI veröffentlicht Informatik-Monitor zur Situation des Informatikunterrichts in den Bundesländern. Dass mit der Informatikausbildung der Kinder einiges im Argen liegt, ist nicht neu. Nun unterfüttert der Informatik-Monitor der GI dieses diffuse Gefühl mit Zahlen und Fakten aus den einzelnen Bundesländern. Eine Synopse vergleicht den Stand in den Bundesländer und gibt Handlungsempfehlungen.  weiterlesen

Neues Informatik Spektrum erschienen. Ab sofort findet sich das neue Informatik Spektrum im Mitgliederbereich und in der Digitalen Bibliothek. In der aktuellen Ausgabe geht es unter anderem um das Thema „Cross Domain Fusion“. Darüber hinaus findet sich eine ausführliche Analyse zur Situation des wissenschaftlichen Mittelbaus im Heft. Lesens- und bedenkenswert!  weiterlesen

40. Bundeswettbewerb Informatik in Berlin: Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum! In der vergangenen Woche haben sich in Berlin 26 Informatiktalente eine spannende Schlacht um die beste Lösung für die diesjährige Wettbewerbsaufgabe geliefert. In mehreren Iterationen und unter Beteiligung vieler Aktiver wurden schließlich die Besten der Besten gekürt: Sechs Jungtalente haben alle anderen hinter sich gelassen. Wir gratulieren!  weiterlesen

  

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FUNDSTÜCK

Wochenende: Thank God It's Friday – oder eher Wochenendblues? Heute ist Freitag, für viele von Ihnen beginnt in ein paar Stunden das Wochenende. Freuen Sie sich? Oder bangen Sie eher? Was (uns) vielleicht als banale Frage erscheint, ist jetzt an der Universität Leipzig untersucht worden: das Wohlbefinden an verschiedenen Wochentagen. Anscheinend hängt dieses weniger vom Wochentag ab als von Schlafhygiene und dem Spaß an der Arbeit. In diesem Sinne: Ihnen einen schönen Freitag und ein schönes Wochenende – welcher Typ Sie auch immer sind.  Zum Fundstück (faz.net)

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Dies war Ausgabe 319 des GI-Radars vom 23.09.2022. Zusammengestellt wurde diese Ausgabe von Dominik Herrmann, der sich oft am Freitag freut – und zwar, wenn er Ihre Rückmeldungen zum GI-Radar liest. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint daher erst am 7. Oktober 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.