GI-Radar 312: Fluktuation von Frauen in der IT

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen geht es dieses Mal unter anderem um Verfahren zur Gesichtserkennung. Das Thema im Fokus beschäftigt sich mit Frauen in der IT. Auf erste Erfahrungsberichte zum GI-Mentoringprogramm weisen wir Sie in den GI-Meldungen hin. Das Fundstück blickt zurück auf die Volkszählung, die wegweisend für den Datenschutz in Deutschland war.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

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Gesichtserkennung Teil 1 + Gesichtserkennung Teil 2 + Überwachung in des USA + Manipulation durch Webseiten + Astro Turfing + Frauen in der IT + Informatik Lehrbücher + GI Veranstaltungskalender + Veranstaltungskalender abonnieren + GI-Mentoringprogramm + Volkszählung

KURZMITTEILUNGEN

Gesichtserkennung I: Unerlaubter Einsatz von Gesichtserkennung wird teuer – und in der EU sollen dazu Gesetze erlassen werden (NZZ). Eigentlich ist es ja ganz praktisch, wenn mein Programm mir zeigt, was meine Freundinnen und Freunde so treiben oder mich auf ihren Posts markieren. Allerdings möchte ich gefragt werden – haben sich viele gesagt und gegen die entsprechende Firma geklagt. Nun wird in den USA Schadensersatz per Scheck verteilt und diskutiert, unter welchen Umständen Gesichtserkennung eingesetzt werden kann, darf und soll.  weiterlesen

Gesichtserkennung II: Einsatz an Schulen (Spiegel).  Katastrophen oder Verbrechen sind häufig die Rechtfertigung für den Einsatz verstärkter Überwachungstechnik. Nach dem Amoklauf an einer amerikanischen Schule bietet eine Firma nun Zutrittskontrollsysteme mittels vorab hochgeladener Fotos an. Ob das Anlegen entsprechender Datenbanken angemessen ist und ob sich diese schützen lassen, ist strittig.  weiterlesen

Massenüberwachung in den USA: Zoll- und Einwanderungsbehörde (ICE) sammelt Versorgungsverträge und Führerscheindaten (Netzpolitik). Das Center of Privacy & Technology aus Georgia hat eine Studie über die Ausgaben der US-Regierung für Datensätze zur Lokalisierung der Bürgerinnen und Bürger vorgestellt. Anhand der unterschiedlichen Datensätze lassen sich laut der Studie drei Viertel der Bevölkerung lokalisieren.  weiterlesen

Nötigung oder spekulieren auf Faulheit – wie Webseiten versuchen zu manipulieren (Spiegel). Cookies konfigurieren, sich noch ein bisschen Zeit lassen beim Kauf – viele Webseiten machen einem das schwer. Sei es, dass die Funktion versteckt ist oder man Sorge hat, dass einem der Wunschartikel vor der Nase weggeschnappt wird. Eine Studie hat die entsprechenden Praktiken untersucht.  weiterlesen

AstroTurfing oder künstliche Graswurzelbewegung: wie bitte? (Netzpolitik). Im Monatstakt entstehen in der technischen Welt neue Begriffe, die häufig relativ schnell in den allgemeinen Wortschatz übergehen. Eine neuere Entdeckung: AstroTurfing. Der Begriff kommt von einem Kunstrasen bezeichnenden Markennamen und meint laut Wikipedia Propaganda mit dem Ziel, die öffentliche Meinung und Emotion zu beeinflussen. Das Phänomen ist globaler Natur und ließ sich bei Stuttgart 21 ebenso beobachten wie in China im Zuge der Verfolgung der uigurischen Bevölkerung, den Wahlen in den USA und derzeit im Kontext des Ukrainekriegs.  weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Fluktuation von Frauen in der IT. Fachkräfte werden in der IT nach wie vor dringend gesucht. Ohne einen höheren Anteil von IT-Spezialistinnen wird dem Fachkräftemangel nicht zu begegnen sein (bitkom.org). Ein Schwerpunkt der Bemühungen liegt darin, mehr Frauen für IT-Berufe zu gewinnen und die Bedingungen der Informatikausbildung und -berufe so zu gestalten, dass Frauen hier eine Perspektive für sich sehen. So weist GI-Präsidentin Christine Regitz in einem Interview mit der Fachgruppe Frauen und Informatik auf das Potenzial hin, das darin liegt, mit sogenannten „Bindestrich-Fächern“ wie Medizininformatik die Vielfalt und Attraktivität des Faches Informatik zu stärken (gi.de). Zudem gibt es eine Vielzahl von Interventionen entlang der Bildungskette: Vom Girls' Day für Schülerinnen bis hin zu spezifischen Mentoring-Programmen im Rahmen von Informatikstudiengängen für weibliche Studierende. IT-Unternehmen versuchen, die Diversität ihrer Entwicklungsteams zu erhöhen, z. B. durch Quereinstieg im Kontext von #shetransformsIT – einer Initiative aus Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bildung und Wissenschaft, die auf die geschlechtsbezogene Schieflage in der Digitalbranche aufmerksam macht (shetransformsit.org).

Diversität ist essenziell für die IT. Die Stärken gemischter Teams sind vielen IT-Unternehmen mittlerweile bewusst. Gemischte Teams tragen nicht nur signifikant zu einem besseren Betriebsklima bei, sondern erhöhen messbar auch die Produktivität, Kreativität und die Qualität der entwickelten Produkte und Lösungen (bitkom.org). Doch es geht um mehr als nur die wirtschaftlichen Interessen der IT-Branche oder einen bloßen Business Case für Diversität in der Digitalisierung. Private und berufliche Lebenswelten verändern sich rasant und grundlegend. Nahezu jeder Lebensbereich wird heute von informatischen Produkten geprägt und gestaltet. Die Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen an der Gestaltung dieser Technologien ist somit unverzichtbar, wenn es darum geht, eine Zukunft zu gestalten, die für alle die gleichen Möglichkeiten bietet.

Die Gründe für fehlende Diversität in der IT sind Stereotype, Erwartungen und Kompetenzzuschreibungen in unserer Gesellschaft. Die Vergeschlechtlichung von Informatik durchdringt in Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern mittlerweile die gesamte Gesellschaft. So war Programmieren zu Beginn eine eher weiblich konnotierte Tätigkeit, die auch hauptsächlich von Frauen durchgeführt worden ist (thewisdomdaily.com). Dies veränderte sich mit der rapiden Zunahme der Bedeutung der Informatik in den 80er-Jahren. Einhergehend mit der Aufwertung des Programmierens ist Programmieren heute eine klar männlich konnotierte Tätigkeit, zumal „Mann-Sein“ ohnehin mit technischer Kompetenz assoziiert wird. 

Die moderne Stereotypenforschung zeigt, dass solche Assoziationen implizit sind (psyarxiv.com). Das macht sie umso wirksamer – auch bei Personen, die sich um nicht-stereotype Verhaltensweisen bemühen oder diese sogar ablehnen. Implizite Verzerrungen führen dazu, dass nicht auf Basis der Realität entschieden und gehandelt wird, sondern auf Basis von Vorstellungen. Eine weit verbreitete Vorstellung ist, mathematisch-logische Fähigkeiten seien zentral für ein gutes Programmierverständnis. Neuere Untersuchungen jedoch zeigen, dass Sprachbegabung als Voraussetzung für Programmiertätigkeiten deutlich wichtiger ist. Dieser Befund steht quer zu den gängigen geschlechtsspezifischen Stereotypen, werden logisch-mathematische Fähigkeiten gemeinhin eher Jungen bzw. Männern, sprachliche Begabungen eher Mädchen bzw. Frauen zugeschrieben (t3n.de). 

In der IT ist die Fluktuation von Frauen außergewöhnlich hoch. Im Gegensatz zu Männern verlassen Frauen nicht nur das einzelne Unternehmen, sondern sie verlassen die IT-Branche oft komplett und für immer. Für die EU zeigt sich: Im Alter von 45 Jahren haben mehr als 90% derjenigen Frauen mit einem Hochschulabschluss in Informationstechnologie die Branche wieder verlassen (bcwt.bg). Eine Sonderauswertung des Betriebs-Historik-Panels und des IAB-Betriebspanels zur geschlechtsspezifischen Arbeitskräftefluktuation in Deutschland zeigt eine Fluktuationsrate bei Frauen im IT-Sektor in Höhe von 0,461 – deutlich höher als die Fluktuationsrate der Männer mit 0,248 (dritter-gleichstellungsbericht.de).

Damit stellt sich die Frage: Was konkret passiert in den Unternehmen und in den Teams, das Frauen dazu bringt, nicht nur diese, sondern die gesamte Branche zu verlassen? Schließlich handelt es sich dabei um Frauen, die sich bis dahin gegen gesellschaftlichen Druck, Diskriminierungserfahrungen und Vereinzelung durchgekämpft und durchgesetzt haben. Untersuchungen zeigen: Der Hauptgrund, warum Frauen die IT-Branche freiwillig verlassen, sind Diskriminierung und Ungerechtigkeit, die den meisten Unternehmen gar nicht bewusst sind und die diese auch nicht aktiv befördern. Es ist also wichtig, blinde Flecken in den eigenen Unternehmensstrukturen und -kulturen zu erkennen, sichtbar zu machen und zu verändern.

Meist sind es subtile, unbeabsichtigte Mechanismen, die der Entwicklung von Frauen in der IT entgegenstehen. Im Rahmen des BMBF-Projekts GEWINN: Gender – Wissen – Informatik. Netzwerk zum Forschungstransfer des interdisziplinären Wissens zu Gender und Informatik wurden diese identifiziert und in Handlungsempfehlungen übersetzt (gender-wissen-informatik.de). Frauen werden in der IT häufig in vermeintlich für sie passende nicht-technische Rollen „befördert“, übernehmen Rollen als agile Coaches, Rollen im Projektmanagement oder kommunikative Aufgaben. In Zusammenhang damit steht der „Prove it again"-Bias: der anzutretende Beweis der eigenen Kompetenz in Dauerschleife, über den Frauen in der Informatik häufig berichten. 

Wie gestalten wir die Arbeit in der IT so, dass Frauen dort langfristig bleiben? Die Qualität unserer Interaktionen mit anderen ist entscheidend dafür, wie positiv oder negativ wir unsere Arbeit erleben. Dies erfordert ein Arbeitsumfeld, in welchem jede*r einzelne sich umfassend geschätzt und anerkannt fühlt, persönliche Stärken eingebracht werden können, individuelle Entwicklung möglich ist und der eigene Beitrag zur Performance des Teams und zum Gesamterfolg transparent ist und vom unmittelbaren Umfeld gewürdigt wird. Frauen wünschen sich hier nichts anderes als Männer. Aber in Studien mit über 1000 Personen in der IT-Branche konnten wir zeigen, dass die Situation aufgrund von Stereotypen und Mehrheitsverhältnissen für sie völlig anders aussieht als für Männer (Holtzblatt & Marsden: Retaining Women in Tech morganclaypoolpublishers.com).

Stereotype lassen sich nicht einfach eliminieren, ihre Wirkung kann aber sichtbar gemacht und „unterbrochen“ werden. Bestehende Prozesse und Praktiken können als „Bias Interrupters“  genutzt werden. Statt Fragen in die Runde: Gezielte Abfrage reihum. Statt der Frage nach Freiwilligen für Aufgaben wie Protokolle: Office Housework aufs Taskboard. Statt offener Diskussion und Gruppendynamik: Karten schreiben und visualisieren. Frauen profitieren davon, wenn Arbeitsprozesse transparent und strukturiert sind – und im Endeffekt profitieren davon alle. Teams können sogar für sich selbst „Sneak Attacks“ entwickeln, um die vorhandenen eigenen Vorurteile zu überlisten (witops.org).

Organisationen und Teams in der Tech-Branche haben es in der Hand, geschlechtergerechte Praktiken einzusetzen. Denn es gilt – wie von der Sachverständigenkommission für den 3. Gleichstellungsbericht mit dem Schwerpunkt Digitalisierung gefordert: Nicht die Frauen müssen sich verändern, sondern die Unternehmen und die Teams. „Fix the company“ statt „Fix the women“ (dritter-gleichstellungsbericht.de).

Das Thema im Fokus hat dieses Mal Nicola Marsden geschrieben, Hochschule Heilbronn, stellvertretende Vorsitzende des Kompetenzzentrums Technik – Diversity – Chancengleichheit und Gründungsmitglied der Fachgruppe Partizipation der Gesellschaft für Informatik. Welche Praktiken und Prozesse nutzen Sie im Team, um Geschlechtergerechtigkeit zu erhöhen? Welche Bias Interrupters haben Sie entwickelt? Wir freuen uns über Ihre Einsendungen

GI-MELDUNGEN

Informatik-Lehrbücher in der Digitalen Bibliothek. Die Digitale Bibliothek der GI ist um eine Rubrik ergänzt worden. Neben den LNI, dem Informatik Spektrum, den Publikationen der Fachgliederungen und den GI-Empfehlungen bietet die Prof. Balzert-Stiftung Lehrbücher zum Download an. Das erste Buch steht zur Verfügung, die Sammlung wird sukzessive erweitert. weiterlesen

Regionalgruppenvorträge, Tagungen, Workshops … alles auf einen Blick. Wussten Sie, dass wir auf unserer Webseite einen umfangreichen Veranstaltungskalender zur Verfügung stellen? Hier können Sie nach Stichworten suchen, nach Art der Veranstaltungen, einfach mal stöbern oder auch Ihre eigenen informatikrelevanten Veranstaltungen eintragen. Alles dazu unter  weiterlesen

Veranstaltungsnewsletter abonnieren? Und wenn Sie nicht immer auf einer Webseite suchen möchten: Sie können unseren neuen Veranstaltungsnewsletter im Mitgliederbereich ganz einfach abonnieren. Dazu loggen Sie sich ein und gehen zu „Stammdaten“.  weiterlesen.

Mentoring-Programm der GI: erste Erfahrungsberichte. Bereits seit längerem läuft das GI-Mentoringprogramm sehr erfolgreich. Viele Mentoringpaare haben wir vermittelt, und jetzt haben wir die ersten, kurzen Erfahrungsberichte in Form von „Testimonials“ veröffentlicht. Schauen Sie rein, und vielleicht haben Sie ja selbst Lust, beim Programm mitzumachen? Wir freuen uns auf neue Interessierte!  weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Aus aktuellem Anlass: Volkszählung und die Geschichte der informationellen Selbstbestimmung (Deutschlandfunk). Datenschutz, Datensammeln, Informationsfreiheitsgesetz, informationelle Selbstbestimmung: alles Themen und Schlagworte, die uns heute sehr vertraut sind. Das sah in den 80er Jahren noch anders aus, als die erste Volkszählung diskutiert wurde. Damals regte sich breiter Widerstand, es wurde überlegt, wie man ihr entgeht, mit welchen Konsequenzen man falsche Angaben machen kann und was mit den Erhebungen angefangen wird. Kurz: die Angst war groß, Einzelne schlossen sich zusammen und klagten durch alle Instanzen. Daraus resultierte unter anderem das Gesetz zur informationellen Selbstbestimmung. Heute sieht die Welt ganz anders aus, wir teilen unsere Daten meist freiwillig mit allerlei Unternehmen und kaum jemand regt sich über die Volkszählung 2022 auf. Ein Rückblick.  Zum Fundstück (deutschlandfunk.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 312 des GI-Radars. Zusammengestellt hat sie Dominik Herrmann, der Ihnen versichert, dass Sie das GI-Radar – im Unterschied zu vielen Webseiten – nicht manipulieren will. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 17. Juni 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.