GI-Radar 315: Hybrid ist das neue 42

 

Liebe Leserinnen und Leser,

in den Kurzmitteilungen berichten wir dieses Mal unter anderem über die kontrovers diskutierte Cybersicherheitsagenda des Innenministeriums. Das Thema im Fokus setzt sich damit auseinander, dass neuerdings alles „hybrid“ ist. In den GI-Meldungen stellen wir einen Aufruf für die Grand Challenges 2025 vor. Das Fundstück ist etwas für Mathematik-Interessierte (und solche, die es werden wollen).

Wir wünschen Ihnen viel Spaß mit dieser Ausgabe!

auf gi-radar.de weiterlesen

Digitales Impfzertifikat + Chinas Chips + Elster stottert + smarter Türöffner im Arm + virtuelles Museum + Hybrid ist das neue 42 + wenige Frauen in der Informatik + Grand Challenges 2025 + Spenden für die GI + Finanzbericht veröffentlicht + ein Heft über Zahlen

KURZMITTEILUNGEN

Digitales Impfzertifikat läuft ab: eine Handreichung (ZEIT). Während der gelbe Impfpass dauerhaft gilt, müssen digitale Impfzertifikate nach ihrem technischen Ablaufdatum erneuert werden. Wie dies für das Corona-Impfzertifikat funktioniert, erläutert eine Zusammenfassung. weiterlesen

Chinas Chipindustrie: wie geht es weiter? (NZZ) Bereits vor einiger Zeit machte der weltweite Mangel an Halbleitern Schlagzeilen. China als eines der Länder mit enormem Bedarf versucht nun, unabhängiger von Chip-Importen zu werden. Schwierigkeiten gibt es dennoch.  weiterlesen

Bundes-IT Elster stottert (FAZ). Wer eine Immobilie besitzt, muss in diesem Jahr erstmalig eine Art digitaler Steuererklärung über das Portal Elster abgeben. Dieses ist jedoch dem Ansturm nicht gewachsen und geht in die Knie. weiterlesen

Chipimplantate für Schusselige: zur smarten Technologie im Interview (taz). Bislang ist der Gedanke bei „gechippt“ wahrscheinlich am ehesten das Haustier, das so beim Verlorengehen identifiziert werden kann. Was eine Landwirtin aus Niedersachsen dazu brachte, sich verschiedene Chips implantieren zu lassen, erzählt sie mit Augenzwinkern.  weiterlesen

(Auch) Kunst am Bildschirm tut gut (Forschung & Lehre). Mit Beginn der Corona-Pandemie wurden die Museen geschlossen. Viele Institutionen sind daraufhin dazu übergegangen, ihre Ausstellungen und Exponate online verfügbar zu machen. Eine Studie hat nun untersucht, inwieweit der virtuelle Museumsbesuch Vergnügen bereitet. Das Ergebnis ist eindeutig: auch das Betrachten von Kunstwerken am Bildschirm kann entspannen.  weiterlesen

Innenministerium legt Cybersicherheitsagenda vor – und erntet Kritik (golem). Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht, wie verletzlich die digitalen Infrastrukturen sind. Das Bundesinnenministerium hat nun eine Strategie vorgestellt, in der das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) eine zentrale Rolle als Knotenpunkt in der Cyberabwehr spielen soll und die Geheimdienste ausgebaut werden. Allerdings gibt es zahlreiche Widersprüche zum Koalitionsvertrag. So sollen beispielsweise – entgegen bisheriger Ankündigungen – nun auch Hackbacks möglich gemacht werden. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft zeigen sich alarmiert.    weiterlesen

THEMA IM FOKUS

Hybrid ist das neue 42. Douglas Adams lieferte mit „42“ die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Die Suche nach der Antwort dauerte so lange, dass die ursprüngliche Fragestellung in Vergessenheit geriet. Heutzutage ersetzt „Hybrid“ zunehmend Adams‘ Antwort auf diese Frage. Dabei stellt sich „Hybrid“ viel zu oft als Hybris heraus.

Frei nach dem dritten Newtonschen Axiom: Sobald sich eine Bewegung in eine Richtung ergibt, entsteht automatisch eine Bewegung in die Gegenrichtung. Konservative halten an bestehenden Strukturen fest und zeigen sich gerne als veränderungsunwillig. Progressive versuchen dann, diese Strukturen aufzubrechen und zeigen sich als äußerst veränderungswillig. Je stärker die progressiven Kräfte wirken, desto stärker wirken auch die konservativen Kräfte. Das Resultat: ein starkes Spannungsfeld, in dem sich alle aufhalten, die weder dem vollständig konservativen noch dem vollständig progressiven Lager zuzuordnen sind. Je stärker und weiter sich das Feld aufspannt, desto wahrscheinlicher kollabiert es und bringt einen Kompromiss hervor. Meistens erhält dieser Kompromiss das Attribut „hybrid“. Diese gutgemeinten Kompromisse sollen sämtliche Vorteile beider Extreme kombinieren – und mitunter gelingt ihnen das auch. Viel zu oft stellen sich diese Kompromisse aber als Hybris heraus, sind weder effizient noch effektiv oder gar sinnvoll. Denn sie haben die eigentliche Fragestellung außer Acht gelassen.

Lange Zeit litt die Software-Entwicklung unter einem penibel zahlenorientierten Projektmanagement. Es verwandelte Menschen in Key-Performance-Indikatoren, in austauschbare Ressourcen, zwang sie in ein starres, repressives Korsett. Das gefiel nicht allen. Die sich aus dem Unmut ergebende progressive Gegenkraft mündete im Manifesto for Agile Software Development. Plötzlich stand die Welt der Software-Entwicklung auf dem Kopf, lieferten sich Konservative und Progressive heftige Debatten, hielten jeweils ihre Sichtweise für die einzige Wahrheit. Versuche der Annäherung scheiterten. Die Konservativen wollten ihre Zahlen behalten, die Progressiven ihre Freiheit bewahren. Die Wogen haben sich geglättet, mehr und mehr Stimmen sprechen nun von Hybridem Projektmanagement, denn weder die Konservativen noch die Progressiven konnten beweisen, dass ihr Vorgehen und ihre Sichtweise tatsächlich die Besten sind. Ob Hybrides Projektmanagement es schafft, lässt sich derzeit nicht beantworten. Es versucht zu oft, in das chaotische agile Vorgehen das „zahlenlästige“ klassische Management zu integrieren. Es kommt also ganz auf die Fragestellung an.

Klarer fällt die Antwort bei Automobilität aus. Dass die Verbrennung fossiler Treibstoffe unsinnig ist, war schon lange eindeutig. Die für unsere Umwelt negativen Einflüsse sind klar erkennbar und gesetzliche Regelungen führten zu eindeutigen, einheitlichen Messwerten. Der Weg in Richtung Elektromobilität galt als der einzig Wahre. Nur ließ er sich nicht von jetzt auf gleich einschlagen. Es folgte, was folgen musste: Hybridmotoren. Die Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor sollte den Übergang regeln, das beste beider Welter kombinieren. Es gab sogar signifikante Förderungen für alle, die zumindest einen Hybridantrieb für ihr neues Fahrzeug wählten. Mittlerweile ist klar: Hybridmotoren sind eine Hybris. Sie arbeiten weit weniger effizient als gedacht.

Nach zwei Jahren Corona-Pandemie hat nun auch die Arbeitswelt das Attribut „hybrid“ erhalten. Galt vor Corona Mobile Work in vielen Bereich noch als undenkbar, wollen nach Corona nur noch wenige Angestellte auf die vielen Vorzüge der Arbeit aus dem heimischen Büro verzichten. Längst sind viele aus der Stadt wieder zurück aufs Land gezogen. Längst hat sich gezeigt, dass Pendeln zu unnötigem Energieaufwand und signifikantem Zeitverlust führt. Längst hat sich gezeigt, dass sich Berufliches und Privates mannigfaltig kombinieren lässt, wenn sich die Chance ergibt. So werden die Stimmen nach Hybrid Work also lauter. Was genau das ist? Kommt auf die Fragestellung an. Ab und an mal ins Büro fahren, Menschen treffen, die für viele Monate nur digital zu hören und zu sehen waren? Den Rest der Zeit dann aber gerne im Schlafanzug verbringend daheim – oder am See liegend – arbeiten?

Bei Projektmanagement, Automobilität und Arbeit endet die Hybridisierung längst nicht. Sie ist auch in der Software-Architektur wieder en vogue. Hier bildeten die Monolithen das konservative Lager. Hier bildeten die Polylithen das progressive Lager. Ganz oder gar nicht, lautete die Devise. Eine Annäherung schien undenkbar, weshalb Architekten und Entwickler zu Mauerspechten mutierten, die mit Hammer, Meißel und viel Willen die gehobelten, polierten Monolithen zu bröckligen, kieseligen, körnigen und schlussendlich staubigen Microservices zerschlugen, regelrecht mahlten. Als sich der Staub legte, zeigte sich, wie viel einfacher es ist, einen Monolithen in die Cloud zu heben und zu verwalten, als den aufgewirbelten Staub zu bändigen. Nun ist die Rede von modularen Monolithen, schwenkt das Pendel zum Begriff hybride Architekturen: ein bisschen handlicher, aber nicht zu klein. Modularisierung gilt jetzt als die Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem Rest. Modularisierung. Schon 1971 lieferte Parnas mit Modularisierung diese Antwort – oder eine mögliche Antwort? Wenn nur die Frage eindeutiger, weniger schwammig wäre, dann ließe sich auch klären, ob die gefundene Antwort die richtige ist, ob die Konservativen, die Progressiven oder die Kompromissler Recht haben.

Diesen Beitrag hat unser Mitglied Mark Lubkowitz beigesteuert, der als Journalist und IT-Consultant tätig ist. Sein Fokus liegt dabei auf der Architektur und Entwicklung von webbasierten betrieblichen Informationssystemen. Zudem setzt er sich kritisch mit Technologien auseinander, recherchiert Entwicklungen und erarbeitet Strategien.

GI-MELDUNGEN

Gründe für den niedrigen Anteil von Frauen in der Informatik. Eine Studie im Auftrag der Bundesweiten Informatikwettbewerbe (BWINF) ist der Frage nachgegangen, warum der Anteil von Mädchen und Frauen in informatikbezogenen Kontexten von der Grundschule an kontinuierlich sinkt. Als einen Grund hat die Studie fehlende Vorbilder und das Image der Informatik identifiziert. weiterlesen

Grand Challenges 2025: Ihre Ideen sind gefragt. Der Präsidiumsarbeitskreis Grand Challenges hat eine neue Runde für Vorschläge ausgerufen. Erwünscht sind Themen rund um die großen Herausforderungen der Menschheit und den Beitrag, den die Informatik zur Bewältigung leisten kann. Einreichungen sind willkommen. weiterlesen

Unterstützen Sie die GI – Spendenbescheinigung inklusive. Sie alle halten die Arbeit der GI für wertvoll und im besten Falle auch nutzbringend für sich selbst – sonst wären Sie nicht Mitglied bei uns. Das freut uns sehr. Heute bitten wir Sie zu überlegen, ob Sie uns über Ihre Mitgliedschaft hinaus auch finanziell fördern möchten. Mit Ihrer Spende könnten wir über unsere „normale“ Arbeit hinaus weitere Projekt anstoßen, beispielsweise in der Nachwuchsförderung oder dem Service für unsere Ehrenamtlichen. Spenden geht ganz leicht. Vielen Dank. weiterlesen

Neugierig auf GI-Finanzen und Wirtschaftspläne? Bericht erschienen. Bei der Ordentlichen Mitgliederversammlung am 27. September wird der Vorstand Rechenschaft über das vergangenen Geschäftsjahr ablegen und seine Wirtschaftspläne für die Zukunft vorstellen. Wer sich detailliert für Zahlen interessiert, kann den Finanzbericht vorab im Mitgliederbereich lesen. weiterlesen

 

Kennen Sie eigentlich den GI-Pressespiegel? Dort sammeln wir die Berichterstattung über unsere Fachgesellschaft in Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen. Schauen Sie rein, es gibt da immer wieder Neues oder auch ältere Fundstücke.

FUNDSTÜCK

Mathematik, Zahlen, Statistiken und Nerdigsein: ein Heft zum Schmökern als Sommerlektüre. Nicht nur der Informatik heftet das Attribut des Nerdigseins an, auch die Mathematik wird mitunter in diese Kategorie einsortiert. Und wenn im Informatikstudium Mathematik gelehrt wird, verdoppelt sich dann der Nerdfaktor? Oder doch nicht? Warum Zahlen Spaß machen, ob man sie richtig und falsch einsetzen kann, wie sich Statistiken auswerten lassen, was das BIP besagt und der Zensus, hat die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrer neuen Ausgabe des Magazins „Fluter“ zusammengefasst.  Zum Fundstück (fluter.de)

Welches Fundstück hat Sie zuletzt inspiriert? Senden Sie uns Ihre Ideen!

 

Dies war Ausgabe 315 des GI-Radars. Zusammengestellt wurde dieser rein elektronische Newsletter, der also überhaupt nicht hybrid ist, von Dominik Herrmann. GI-Geschäftsführerin Cornelia Winter hat die Mitteilungen und Meldungen zusammengetragen. Das nächste GI-Radar erscheint am 29. Juli 2022.

Im GI-Radar berichten wir alle zwei Wochen über ausgewählte Informatik-Themen. Wir sind sehr an Ihrer Meinung interessiert. Für Anregungen und Kritik haben wir ein offenes Ohr, entweder per E-Mail (redaktion@gi-radar.de) oder über das Feedback-Formular bei SurveyMonkey. Links und Texte können Sie uns auch über Twitter (@informatikradar) zukommen lassen.